Gestern wurde in der FAS ein Leserbrief abgedruckt, den ich versuche aus der Erinnerung möglichst gut wieder zu geben. Es ging um Plakate mit dem Aufdruck „Wahrscheinlich gibt es keinen Gott – Genieße Dein Leben“. Der Leser merkte dazu an „Wie liest ein Leidender wohl diese Sprüche an den Bussen in Barcelona und London?“ Ich finde diese Reaktion bemerkenswert. Der Aufruf sein Leben zu genießen wird mit dem Verweis verworfen, dass dies nicht jedem offensteht. Vor Jahren wurde ich mit einer ähnlichen Ausspruch konfrontiert: Auf Kursfahrt meinte eine Klassenkameradin zum Essen im Restaurant, es sei von Albanern geschält worden. Aus beiden Zitaten scheint der gleiche Gedanke zu sprechen nämlich, dass man nicht das Recht hätte glücklich zu sein, solange dieses Glück nicht allen zugänglich sei.
Meines Erachtens ist das ein ungewöhnlich destruktiver Gedanke. Wird doch jeder Anlass glücklich zu sein in einen umgedeutet Schuld zu empfinden. Was einen zu einer trostlosen Existenz verurteilt. Auch erscheint er mir extrem, da eine kleine Minderheit oder Menschen, die sich sehr weit weg befinden, als Maßstab für die Situation der Meisten hier verwendet wird. Möglicherweise handelt es sich, weniger um den Ausdruck einer anspruchsvollen Moral, als um die Rationalisierung der Unfähigkeit sein eigenes Leben zu genießen. Dies führt uns zu der Frage, ob eine Moral verlangen kann, das Wohlbefinden zu vertagen, bis genügend Anstrengungen ausgeübt wurden es allen zu Teil werden zu lassen.
Ein solcher moralischer Anspruch scheitert meiner Meinung nach schon daran, dass man nie Wissen kann worin diese Anstrengungen bestehen sollen. Die Person für deren Wohlbefinden wir am besten sorgen können, sind, wenn man der Logik des Anspruchs überhaupt folgen will, wir selbst. Gegen den Anspruch lässt sich auch fundamentaler argumentieren und die Auffassung erheben, dass er keine Grundlage hat. Nietzsche würde ihn der Sklavenmoral zurechnen, die seiner Genealogie der Moral zu Folge nur die verzerrte Umkehrung einer Herrenmoral ist. Die Herrenmoral sei die ursprünglichere von beiden, weil sie sich aus elementaren menschlichen Erfahrungen ergibt, während die Sklavenmoral ein Produkt Ideologischer Beeinflussung ist.
Wie man es dreht und wendet wahre Solidarität kann nur üben, wer sein Leben im Griff hat, sonst verkommt sie schnell zu einem Surrogat für die eigene Unzulänglichkeit. Jeder hat das Recht überzogene moralische Ansprüche zurückzuweisen.
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