Eine Auseinandersetzung mit der „Dialektik der Aufklärung“

Es dürfte kein Buch geben das die Linke Weltanschauung im 20 Jahrhundert stärker geprägt hat als „Dialektik der Aufklärung“ von Horkheimer und Adorno (oft Horkdorno genannt). Wer sich ernsthaft mit Linker Ideologie auseinandersetzen und nicht nur Polemik betreiben will, kommt nicht darum auch dieses Buch zu lesen.

Das Buch erschien 1944, aber bei seiner Entstehung war laut dem Vorwort von 1969 die Niederlage des National-Sozialismus schon absehbar. Es besteht aus sechs Kapiteln, von denen die ersten drei sich dem Verhältnis von Aufklärung und Mythos widmen, im vierten die Kulturindustrie analysiert wird und im fünften die Ideengeschichte und Ursachen des Antisemitismus. Das Sechste Kapitel ist eine Sammlung kleinerer Aufsätze, zu verschiedenen Themen. Wie sich in diesen Fakten schon andeutet ist es das Thema der Texte die Ursachen des National-Sozialismus oder allgemeiner gesprochen des Rückfalls in die Barbarei zu beleuchten. Der Rote Faden, der sich durch die verschiedenen Kapitel zieht, ist der unausgesprochene Gedanke, dass Aufklärung mit Herrschaft einhergeht und daher in Totalitarismus umschlagen muss, der aber Gegenaufklärung darstellt.

Das klingt vielversprechend, dennoch ist die DdA weit hinter meinen Erwartungen zurückgeblieben. Das fängt schon am Aufbau an. Von einem philosophischen Text erwartet man eigentlich, dass die Argumentation bereits eine Struktur vorgibt, stattdessen handelt es sich bei der DdA um eine Aneinanderreihung von Beobachtungen. Man würde es dem Text nicht anmerken wenn Ausschnitte in ihrer Reihenfolge vertauscht würden. Argumentiert wird selten, entweder der jeweilige Gedanke kommt dem Leser plausibel vor oder eben nicht.

Beispielsweise wird im ersten Kapitel die These entwickelt: „schon der Mythos ist Aufklärung“ und „Aufklärung schlägt in Mythologie zurück“. Eigentlich sollte man meinen, dass ein Aufsatz zu dem Thema mit den Definitionen von Aufklärung und Mythos beginnen. Nicht so Horkdorno das Kapitel beginnt mit der Zuschreibung: „Seit je hat Aufklärung (…) das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen“  (S. 8). Auf den folgenden Seiten wird dann immer wieder darüber berichtet wie der Mythos aus der Perspektive der Aufklärung wirkt. Das erste was wir über den Mythos selbst erfahren ist: „Der Mythos wollte berichten, nennen, den Ursprung sagen: damit aber darstellen, festhalten, erklären“ (S.14). Es handelt sich beides Mal nicht um eine Definition des Gegenstands, sondern nur um Beischreibungen einzelner Elemente. Das eigentlich spezifische der Aufklärung, das ihre Aussagen nachprüfbar sein sollen, wird auf diese Weise ausgeblendet.

Auch die Beobachtungen die Horkdorno zugunsten des Gedanken anführen, dass Aufklärung mit Herrschaft einhergeht können nicht überzeugen. Ein zentraler Gedanke ist etwa das schon Deduktion ein Produkt von Herrschaftsverhältnissen ist: „Noch die deduktive Form der Wissenschaft spiegelt Hierarchie und Zwang. Wie die ersten Kategorien den organisierten Stamm und seine Macht über den Einzelnen repräsentieren, gründet die gesamte logische Ordnung, Abhängigkeit, Verkettung, Umgreifen und Zusammenschluß der Begriffe in den entsprechenden Verhältnissen der sozialen Wirklichkeit, der Arbeitsteilung.“ (S.27 f.) Starke Aussage, hätte ich gerne begründet. Darauf verzichtet Horkdorno jedoch. Pech, ich glaub dir nicht Horkdorno, Deduktion ist unabhängig von der Gesellschaft. Andererseits wird in dieser Aussage deutlich, wofür ich die gesamte DdA halte; sie ist eine marxistische Basis-Überbau-Theorie der Erkenntnis.

Um die unausgesprochene These, Aufklärung geht mit Herrschaft einhergeht, zu erhärten muss nicht nur Deduktion als Produkt der Herrschaft dargestellt werden, Wissenschaft und damit Aufklärung muss auch auf Deduktion reduziert werden. Es kann daher nicht wundern folgende Sätze zu finden: „Denken ist im Sinn der Aufklärung die Herstellung von einheitlicher, wissenschaftlicher Ordnung und die Ableitung von Tatsachenerkenntnis aus Prinzipien, mögen diese als willkürlich gesetzte Axiome, eingeborene Ideen oder höchste Abstraktionen gedeutet werden.“ (S.88) Hier wird deutlich, dass Horkdorno den naturwissenschaftlichen Betrieb nicht kennt. Denn die Tatsachenerkenntnis besteht in der Praxis eben nicht darin Sonderfälle aus Prinzipien herzuleiten, sondern darin die höheren Prinzipien erst zu finden, durch Induktion. Sie sind nicht willkürlich wie Horkdorno meint, sonder müssen selbst den Test an der Realität bestehen. Sogar in der Mathematik besteht ein Großteil der Arbeit nur nicht darin Theoreme aus Axiomen herzuleiten, sondern darin geeignete Fragestellungen und Definition zu finden mit der sich ein bestimmter Gegenstand untersuchen lässt. Das ist keine rein technische Übung, sondern erfordert ein hohes Maß an Intuition. Ein Beispiel dafür wäre der Übergang vom Riemann zum Lesbesgue-Integral, nachdem sich gezeigt hat, dass man mit dem Riemannintegral kaum Zugang zu mehrdimensionalen Integralen finden kann.

Die These das obersten Prinzipen willkürlich wären bereitet das vor, was ich für das zentrale Argument in der DdA halte, die Auffassung Aufklärung führe zur Amoralität: „Die Morallehren der Aufklärung zeugen von dem hoffnungslosen Streben, an Stelle der geschwächten Religion einen intellektuellen Grund dafür zu finden, in der Gesellschaft auszuhalten, wenn das Interesse versagt.“ (S.92) Horkdorno zufolge sind diese Moralbegründungen zum Scheitern verurteilt, weil sie hinter die Aufklärung zurückfallen würden: „Der Bürger, der aus dem kantischen Motiv der Achtung vor der bloßen Form des Gesetztes allein einen Gewinn sich entgehen ließe, wäre nicht aufgeklärt, sondern abergläubisch – ein Narr.“ (S. 92) Die Grundlage für diese Einschätzung ist ein pessimistisches Menschenbild: „Das Werk des Marquis de Sade zeigt den » Verstand ohne Leitung eines anderen «, das heißt, das von Bevormundung befreite bürgerliche Subjekt.“ (Das Werk des Marquis de Sade schildert sexuelle Ausschweifungen und propagiert das Recht des Stärkeren.)

Ich teile Horkdornos pessimistisches Menschenbild nicht, meiner Erfahrung nach werden Menschen von mehr geleitet als dem materiellen Vorteil und den Bedürfnis nach sexueller Ausschweifung. (Z.B. pflegen sie ihre Eitelkeit, indem sie ihre Gedanken in einem Blog heraus posaunen.) Selbst wenn ich diesen Verhalten nicht nachvollziehen könnte, müsste ich dennoch davon ausgehen, dass sie ihre Gründe dafür haben; das fordert meine liberale Einstellung. Mangelnder Bezug zur Realität ist nicht die einzige Beanstandung dem sich die Kritik der Aufklärung als moralzersetzend aussetzen muss.  Problematisch ist auch das es keine Basis geben kann von der aus diese Kritik geübt werden kann, außer Dogmatismus: Entweder ist Moral ist unvernünftig, dann kann es kein vernünftiges Argument gegen die Aufklärung sein sie zu verwerfen oder meine Variante Moral ist es aus Gründen, die wir nicht zu kennen brauchen, nicht, auch dann fällt das Argument in sich zusammen. Letzten Endes ist Horkdornos Kritik nicht ganz aufrichtig, er übergeht, dass es die Forderung ist, dass Aussagen  nachvollziehbar sein müssen, die dazu führt die Moral in  Frage zu stellen. Aufklärung stellt nicht nur Moral in Frage, sonder fordert aus den gleichen Gründen auch, dass sich Herrschaft legitimieren soll. Das verschweigt Horkdorno wohlweislich, da es dem Grundtenor des Buches, Aufklärung ginge mit Herrschaft einher, wiederspricht.

An dem Abschnitt über die Amoralität der Aufklärung überrascht wie nah die linken Vordenker konservativen Gedanken stehen. Ihr Menschenbild ist nicht von der Idee geprägt, dass Menschen grundsätzlich zum kooperativen Zusammenleben fähig sind, sondern von einem Misstrauen gegenüber dem ungezähmten Menschen. Es gibt ein weiteres Element das dem Konservativismus entnommen sein könnte: die ablehnende Haltung gegenüber systematischen Denken. Dass ein Exemplar wissenschaftlich als Repräsentant einer Gattung gilt, die Einheit von Besonderen und Abstraktem, wie Horkdorno es ausdrückt, gilt den Autoren schon als kritikwürdig. Im konservativen Denken gibt es keine systematischen Zusammenhänge, jedes Phänomen könne nur in seinem singulären Kontext verstanden werden. Horkdorno scheint diesen Gedanken zu übernehmen, für ihn erscheint daher eine Wissenschaft, die die Welt in Typen unterteilt, als Lüge. Eine List durch die die das Bestehende aufrecht erhalten kann. „Die Herrschenden selbst glauben an keine objektive Notwendigkeit, wenn sie zuweilen so nennen, was sie aushecken. Sie spielen sich als die Ingenieure der Weltgeschichte auf. Nur die Beherrschten nehmen die Entwicklung, die sie mit jeder dekretierten Steigerung der Lebenshaltung um einen Grad ohnmächtiger macht, als unantastbar notwendig hin.“(S. 44 f.) und „Der mythische wissenschaftliche Respekt der Völker vor dem Gegebenen, das sie doch immerzu schaffen, wird schließlich selbst zur positiven Tatsache, zur Zwingburg, der gegenüber noch die revolutionäre Phantasie sich als Utopismus vor sich selber schämt und zum fügsamen Vertrauen auf die objektive Tendenz der Geschichte entartet.“

Die konservative Haltung, dass es keine Systematischen Zusammenhänge gibt, ist stichhaltiger als es den Anschein hat. Um die Konservativen zu widerlegen, ist es notwendig zu zeigen, dass Induktionsschlüsse möglich sind. In der Philosophie wird dies das Induktionsproblem genannt. Man kann zwar aus den bisherigen Erfolg der Wissenschaften, die mit Induktion arbeiten, auf die Gültigkeit der Induktion schließen, das wäre jedoch selbst ein Induktionsschluss.

In der historischen Perspektive ist  Horkdorno Methode konservatives Denken für Linke nutzbar zu machen konsequent. Der Marxismus, der linkes Denken im 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. beherrscht hat, lief auf extrem technokratische Ansätze (Planwirtschaft) hinaus. Um das absehbare (zu der Zeit erst mal nur moralische) Scheitern der Technokratie zu überleben musste sich linkes Denken sich von seiner technokratischen Variante lösen: „In dem er [der Sozialismus] für alle Zukunft die Notwendigkeit zur Basis erhob und den Geist auf gut idealistisch zur höchsten Spitze depravierte, hielt er das Erbe der bürgerlichen Philosophie allzu krampfhaft fest. So bliebe das Verhältnis der Notwendigkeit zum Reich der Freiheit bloß quantitativ, mechanisch, und Natur, als ganz fremd gesetzt, wie in der ersten Mythologie, würde totalitär und absorbierte die Freiheit samt dem Sozialismus.“ (S. 47) Die Linke erhebt nun die Utopie zur Basis, sodass jeder, der systematische Zusammenhänge behauptet (Salonmarxologen ausgenommen) als präfaschistisch gilt.

Alle Seitenzahlen beziehen sich auf die deutsche Neuausgabe von 1969, 17. Auflage.

Eine Gemeinsame Veröffentlichung von Freiheit und Optimismus und Die Freie Welt.

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25 Antworten to “Eine Auseinandersetzung mit der „Dialektik der Aufklärung“”

  1. momorulez Says:

    Puuh, das müsste man jetzt eigentlich gaaaaaanz weit ausholen.

    Wo Du recht hast, meiner Ansicht nach, ist, dass da ein bildungsbürgerlicher Kulturkonservatismus die ganzen Gedankengänge leitet, das aber a aus gutem Grund: Sie sehen halt in manchen Möglichkeiten, die im Bürgertum sich heraus gebildet haben, insbesondere im engeren Bereich von „Kultur“ (Kunst, Musik) jene Spuren der Aufklärung, die zum wirklich freien und mündigen Bürger hinführen könnten, dennoch bleibt dieser Utopie.

    Weil in Faschismus und Stalinismus und Kulturindustrie Aufklärung in Mythologie zurück schlägt und noch diese Spuren des Besseren im gehobenen Bürgertum tilgt.

    Man darf ja nicht vergessen, dass das Werk inmitten des Krieges von der Shoah entronnenen, jüdischen Intellektuellen verfasst wurde. Also zu einem Zeitpunkt, als auch die linke Revolutionshoffnung, die Marx, der frühe, noch irgendwie hegte, im Stalinismus längst gescheitert war. Und es gibt in der „Negativen Dialektik“ sehr anrührende Passagen, in den Adorno darüber sinniert, was es heißt, überlebt zu haben als Jude. Dass da kein allzu optimitisches Menschenbild zu zeichnen war, das ist vielleicht verständlich – zudem sich da noch sowas wie ein schlechtes Gewissen mitschreibt, ein ganz gruseliges, eben im Exil in Kalififornien zu sitzen, während in Europa Millionen vergast werden.

    Zu den wissenchschaftstheoretischen Erwägungen, die auch den Bau des Buches und die Schreibweise betreffen: Sie sahen sich in der Frontstellung gegen den „Logischer Positivismus“ des Wiener Kreises („die ganze Welt ein analytisches Urteil“) und der Versuche, Systemphilosophie zu reanimieren.

    Beides kritisierten sie aus der Perspektive der Vernunftkritik, genauer: Der Kritik der instrumentellen Vernunft, die Dinge ud Menschen sich gefügig macht, um sie nutzbar machen zu wollen.

    Das ist ein Schritt „vor Marx“, sozusagen – die Produktivkraftentwicklung ist selbst Symptom einer Geschichte der Naturbehrrschung, wobei „Naturbehherschung“ immer Behrrschung der inneren (Triebe, Gefühle etc. ) wie auch der äußeren Natur ist. Uter dieses Verdikt würde dann alles fallen, was Du als das anführt, auf das Du Dich berufst.

    Die Odysseus-Geschichte hat die Funktion, diesen Gedanken begreiflich zu machen: Die Sirenen genießen kann nur, wer zuvor sich – selbstbeherrschend – an den Mast binden läßt.

    Das liegt gewissermaßen „vor“ dem, was Du beschreibst als wissenschaftstheoretischen Ansatz: Die Urgeschichte der Subjektivität ist die Internaliserung der Herrschaft über Natur, und genau vollbringt Vernunft.

    Und um dieses zu brechen, muss die Philosophie selbst antisystemtisch werden, sozusagen, später schrub Adorno „durch den Beggriff druchgehen, um ihn aufzulösen“, weil JEDER Begriff schon das falsche Allgemeine enthält, dass das Besondere unterjocht und nivelliert, und so der Bann der Beherrschung immer totaler wird – und im Pogrom entfesseln sich dann diese aufgestauten Kräfte.

    Mit anderen Worten: Du vergißt Freud. Und das ist das so gar nicht Konservative: Die philosophieren da unter anderem über die Möglichkeit eines freien Orgasmus.

    Inwiefern man nun die DdA als DAS wichtigste Buch der Linken bezeichnen kann, hmmm – selbst ’68 war im selben Sinne von Habermas‘ „Erkenntnis und Interesse“ und dem „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ geprägt, viel weniger kryptische Ansätze, und von Marcuses Freudomarxismus, der zwar Analogien zu Horkdorno aufweist, aber viel konkreter philsophiert.

    Die franzöische Linke war lange eher von Sartre beeinflusst, der Horkdorno nie rezipiert hat, später die Strukturalisten kamen eher von Marx und Lacan, de Saussure und Lévy-Strauss, und eine Auseinandersetzung mit Adorno fand erst bei Lyotard und Derrida statt, und da eher mit den Schriften zur Ästhetik.

    Die osteuropäischen Dissidenten,die auch links standen, habe sich eher an Heidegger abgearbeitet, und die ganze angloamerikanische Diskussion ist noch mal eine ganz andere, wo Habermas wieder der war, der viel anknüpfungsfähiger schien.

    Und seit einigen jahren scheint mir eher Foucault der ganz große Name auf der Linken zu sein, ergänzend Gramsci, und das ist noch mal eine ganz eigene Diskussion, ob man den Foucault nun mit oder gegen Horkdorno liest, das geht beides.

  2. Andreas Ullrich Says:

    wollte mich gerade auch zu einer erwiderung hinreissen lassen … dank an momorulez, du hast mir viel schreibarbeit erspart …

  3. momorulez Says:

    Gern geschehen ;-) …

  4. Michel Says:

    @momo: Erstmals danke für das drüber sehen.
    Das die DdA sehr stark von ihrem historischen Hintergrund geprägt ist, und vieles erst verständlich wird wenn man ihn mit einbezieht, klar, den erwähne ich ja nicht umsonst. Aber ein Werk, das Wahrheit beansprucht, gerade auf eine so radikale Weise wie die DdA, muss man auch ohne diesen Hintergrund lesen können. Ansonsten könnte ich sie gleich als literarischen Text lesen, als solcher wäre sie brillant.
    Der DdA messe ich eine so große Bedeutung zu, weil sie die Priorität für das beanspruchen kann, was ich für das bestimmende Thema der Linken seit der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts halte, eine Abkehr vom Materialismus (der für die technokratische Linke prägend ist) hin zu eine im in der Luft hängendem Idealismus. Ander haben den Gedanken zwar weiterentwickelt, bewegen sich jedoch auf dem Boden der von der DdA vorbereitet wurde. Hoffe es ist einigermaßen klar was ich meine, also Materialismus im Sinne vom Denken im Systematischen Zusammenhängen auf Basis eines Reduktionismus.
    Die Vernunftkritik halte ich nicht für stichhaltig, weil es möglich ist über die Selbstbeherrschung zu reflektieren. Man kann wissen welche Impulse unterdrückt werden. Der Erkenntnisprozess wird nicht beeinträchtigt. Außerdem finde ich das Horkdorno der Impulskontrolle eine viel zu große Rolle zu billigt, die Begriffsbildung findet schon auf einer sehr niedrigen Ebene statt und ist eng mit dem Gedächtnis verknüpft. Wenn man eine Ratte zwei Mal in einem Aufzug abstürzen lässt, verfügt sie schon den abstrakten Begriff des Im-Aufzug-Abstürzens. Es gibt einfach keinen Ansatzpunkt, an dem eine höhere Bewusstseinsinstanz eingreifen könnte, also ist Begriffsbildung auch nicht das Produkt von Selbstbeherrschung.

    @Andreas: Schade, ich hatte gehofft, dass du einen Anderen Zugang zur DdA als momo hast.

  5. Andreas Ullrich Says:

    … hab‘ ich auch. Aber als erste Intervention war mit momos Text ganz recht.

    Ich würde allerdings momos statement, dass die DdA ein vielleicht doch nicht so zentraler Text für die Selbstdefinition der Linken gewesen sei, dahin radikalisieren, dass ich behaupte, dass dieser Text trotz allem Gelese + aller Kolportiererei einer der unwirksamsten Versuche gewesen ist, etwas revolutionär Bürgerliches zu retten. Weil: wer der DdA auch nur einen fussbreit folgt, müsste Schönberg, Webern, Boulez, Cage oder gar Schnebel, Stockhausen oder Hespos hören + verehren + nicht das ganze Pop-, Rock- oder Hiphop-Gedöns. Wer dem folgte, wäre einsam + hilflos! Oder literarisch gewendet: wer nach Kafka, Celan, Beckett oder H.G.Helms wäre noch akzeptabel?

    Diese theoretisch unabdingbare Grenzziehung macht sowohl das fast Altertümliche der Frankfurter Schule deutlich wie auch den kaum erfüllbaren Anspruch derselben, geltende Werte aus der Unvernunft setzen zu können. Das Prikkelnde daran ist die Überlegung, dass nicht das als Unvernunft zu schelten sei, was die Vernunft ignoriere oder transzendiere, sondern das, was die Spielregeln der Vernünftigkeit genauestens einhält.

    Der KloPPs der Adorno/Horkheimer’schen Denkerei ist es, dass moderne Vernunft notwendig vergisst, wozu Vernunft eigentlich da ist: zur Selbsterhaltung der Möglichkeit, vernünftig das Verfahren des Lebens zu gestalten. ‚Gestalten‘ ist dabei nicht eine vernünftige Kategorie (oder besser: eine ökonomische) – geht also nicht auf eine möglichst reibungslose Realisierung des als optimal Berechneten aus (der Tod der Ideologie des Sozialismus) – sondern eine theologisch motivierte (das verschwiegene Zentrum der DdA): Marx ist viel mehr gottgläubig als sein vorgeblicher Materialismus es verspricht (Marx der Gottesfresser – LoL) – der Automatismus der Revolutionen durch die Entfaltung der Produktivkräfte ist das Kehrbild der letzten Gerechtigkeit am Tage des Jüngsten Gerichts. Diese vernünftelte Notwendigkeit ist die letztendliche Entmachtung des Einzelnen, der nur die Möglichkeit zugestanden bekommt, unter die Räder zu kommen oder als Avantgarde sein Plätzchen in der Notwendigkeit voll fit festzuschnallen.

    Der looser ist d’raussen, derjenige, der nur sich und seine zarten Willensregungen hat; der nicht mit materieller Notwendigkeit oder Gotteszuversicht gerüstet ist.

    Die DdA werkelt so faszinierend zwischen dem Beethoven’schen Verrat am Scheiternden (Neunte Symphonie / Schillers ODE) und dem transzendenten Zuspruch, das Scheitern sei im Falschen das Richtige herum – und schafft letzlich keine Lösung, keine Position, der zu vertrauen wäre – und damit die ultimative Wahrheit, dass nichts geliefert wird + jeder sich selber in immerwährender theoretischer und emotionaler Anstrengung produzieren muss – unvernünftig seine Ressourcen allozierend, mit einem Bein auf’m nährenden Boden, im wilden Spagat mit’m anderen in seinem eigenen, unidentischen Reich des Eigenen.

    Die Linke hat’s deshalb nicht eigentlich rezipiert: weil sie glaubt, all das könnte gesellschaftlich veranstaltet werden, rechtlich festgeschrieben, judikativ durchsetzbar …

    Darum bin ich Anarchist.

  6. Michel Says:

    @Andreas: Na dass passt doch, genau das könnte ich unterscheiben. Dass der Anspruch geltende Werte aus der Unvernunft setzen zu können, nicht zu erfüllen ist, ist genau einer mein Hauptkritikpunkte („es keine Basis geben kann von der aus diese Kritik geübt werden kann, außer Dogmatismus“). Auch das Verhältnis von Adorno/Horkheimer zu Marx sehe ich fast genauso. („Um das absehbare (zu der Zeit erst mal nur moralische) Scheitern der Technokratie zu überleben musste sich linkes Denken sich von seiner technokratischen Variante lösen“) Gut den Marxismus als Technokratie zu verstehen ist nicht ganz exakt, trifft die Varinate der damaligen Zeit aber ganz gut.

    Wo ich anderer Meinung bin ist folgender Punkt: Die Linke hat in ihrer Selbstdefinition die DdA sehr wohl rezipiert, in der praktischen Umsetzung als politisches Programm lässt sich diese Selbstdefinition jedoch nicht durchhalten. Die Linke müsste dazu wieder auf die technokratischen Instrumente zurückgreifen, die sie verworfen hat. Sie ist also im Dilemma entweder weitgehend unpolitisch zu bleiben oder ihre eigenen Werte zu verraten (indem sie den Charakter der von ihr herangezogenen Instrumente ausblendet.) Das sollte eigentlich Thema eines späteren Beitrags sein.

    Und was die kulturellen Implikationen der DdA angeht, dass linke Ansätze soweit in die Lebensführung eingreifen, übersehe ich wohl zu oft. Momo ist mit solchen Eingriffen übrigens auch nicht immer glücklich.

    Ps: Ich dachte Adorno sei ein scharfer Kritiker der durchstrukturieren Musik?

  7. momorulez Says:

    „Darum bin ich Anarchist.“

    Was dann freilich komplett jenseits von Religion und Metaphysik anzusiedeln wäre ;-) … ist halt die einfachste Lösung, sich als Anarchist zu behaupten.

    Verzeiht mir, dass ich ein Linken-Bashing anhand der DdA weder für sinnvoll noch für zweckmäßig halte noch, dass ich auf eine solche Diskussion eines philosophischen Textes nun eingehe. Das ist mir in dem Fall doch zu platt.

    Finde bei solchen Texten erst Mal wichtig, dass man bereit ist, sie auch verstehen zu wollen. Und da sind Fragen nach der zu fordernden politischen Praxis tatsächlich eher irreführend, ebenso diese ewige Diskussion über Schönberg versus Hip Hop (auf die ich ja manchmal selber einsteige).

    Ihre eigene Wirkungslosigkeit nimmt sie diesbezüglich ja auch vorweg, die „Flaschenpost“. Und nix ist aktueller als eine Kritik der instrumentellen Vernunft, und Adornos Auseinandersetzungen zum Beispiel mit Schönberg sind einfach unübertroffen in der Analytik musikalischen Materials.

    Was da krude ist, und das gilt ja auch für die ganze DdA, ist, dass musikalische Formen und Formen des Denkens annähernd unmittelbar in gesellschaftlicher Praxis sich wiederspiegelnd gedacht werden, vermeindlich.

    Deshalb sollte man sie da hin zurück führen, wo sie hin gehören, nämlich in die Philosophie und Ästhetische Theorie, und nicht als politische Programmatik lesen.

    Trotzdem kann ich als Kulturindustrieschaffender schon guten Gewissens behaupten, dass gerade am „Kulturindustrie“-Kapitel sehr viel dran ist.

    „Ander haben den Gedanken zwar weiterentwickelt, bewegen sich jedoch auf dem Boden der von der DdA vorbereitet wurde.“

    Das müßtest Du schon deshalb präzisieren, was Du da meinst, weil Du „Idealismus“ zwiespältig verwendest. Du meinst vermutlich eine rein moralisch aufgeladene Position, die sich um Fragen der Mach- und Realsierbarkeit nicht schert bis hin zu dem, was man mit Goebbels „Gutmensch“ nennt, und nicht z.B. eine bestimmte Adadption von Hegelschem Denken. Letzteres wäre das ungleich interessantere Terrain, das meiner Ansicht nach auch besser Kritikpunkte formulieren läßt. Was ja unsinnig ist, ist z.B. diese Totalgeschichtsschreibung, die aber mittlerweile ganz im liberalen Lager angekommen ist. Gerade in der Hinsicht hat ein Foucault ja viel ehr zu bieten.

    „die Begriffsbildung findet schon auf einer sehr niedrigen Ebene statt“

    Das sehe schon deutlich anders. Die weisen halt das, was Du als Begriffsbildung forderst, mit ganz guten Gründen zurück Dieser Einwand, dass sie selbst ga5r nicht angeben können, was denn dann das Medium ihrer Kritik ist, wenn’s denn nicht auch Vernunft ist, die Vernunft kritisiert, das ist ja der Standard-Einwand aus der Habermas-Ecke, und klar, der stimmt auch.

    Aber macht es denn Sinn, imer wieder dieselbe Leier heraus zu kramen, wenn man sich mit diesem Buch beschäftigt, das ja nun immer noch auch Dich zur Auseinandersetzung reizt? Dann muss doch da irgendwie mehr dran sein …

    „Der KloPPs der Adorno/Horkheimer’schen Denkerei ist es, dass moderne Vernunft notwendig vergisst, wozu Vernunft eigentlich da ist: zur Selbsterhaltung der Möglichkeit, vernünftig das Verfahren des Lebens zu gestalten.“

    Nein, das stimmt nicht. Sie schildern den PREIS der Selbsterhaltung und ein Ethos radikaler Kritik, das ganz bewusst auf Programmatiken verzichtet. Und Gestaltung findet ästhetisch statt unter dem Vorrang des Objekts und des Materials in seiner Historizität.

    Das ist ein immer wieder ungeheur anregender PROZESS, den man schon nachvollziehen wollen können muss, bevor man „Gestaltung“ ruft. Da ist ja die Bewegung des Denkens selbst schon ihr Sujet.

    „Diese vernünftelte Notwendigkeit ist die letztendliche Entmachtung des Einzelnen, der nur die Möglichkeit zugestanden bekommt, unter die Räder zu kommen oder als Avantgarde sein Plätzchen in der Notwendigkeit voll fit festzuschnallen.“

    Das kannst du auf Horkdorno so aber nicht anwenden, und auch bei Marx ist das komplizierter.

    Dass bei Horkdorno aber eine utopisierte Erlösungshoffnung, die viel mit einer negativen Theologie zu tun hat, eine Rolle spielt – ja, warum denn nicht? Ist ja Philosophie und keine statistische Untersuchung des Taschentuchverbrauchs in Wanne-Eickel und auch nicht das Wahlprogramm der Kreistagsfraktion der FDP in Bamberg.

    „und schafft letzlich keine Lösung, keine Position, der zu vertrauen wäre“

    Ja, genau das ist ihr Anliegen Und wenn man dann liest, was Adorno in der „Negativen Dialektik“ und der „Ästhetischen Theorie“ daraus macht, nämlich ein dynamisches Denken, das trotzdem auf Wirklichkeit sich einzulassen vermag, das ist schon dolle.

    PS. Lustig, ich neheme hier gerade die gegenteilige Position zu dem ein, was ich drüben bei mir immer mache – da bin ich ja oft der Adorno-Kritiker und werden von den Adorniten dafür gesteinigt.

    PSS: Was ich absolut nicht verstehe, ist, dass antisystemtische Positionen „konservativ“ sei soll. Da ist doch das Gegenteil der Fall. Es sind doch Konservatismen, die von natürlichen, sozialen Ordnungen ausgehen.

  8. Andreas Ullrich Says:

    „Ps: Ich dachte Adorno sei ein scharfer Kritiker der durchstrukturieren Musik?“

    Iss’a auch. Aber ‚Konstruktion‘ bezieht sich auf die Verwendung von Theorien zur Entlastung der subjektiven Verantwortung für’s Komponierte – nicht auf das genaue Lauschen auf den Herzschlag des geschichtlichen Zustandes des musikalischen Materials. Eine Komposition, die nur im rechnerischen Verfahren der Kombinatorik ihren Verlauf organisiert, ohne dem Handhaber dieses Verfahrens seine ureigenste Stimme zu lassen ist unheimlich und unästhetisch – eine Komposition, die selbstbesoffen den geschichtlichen Stand des musikalischen Materials verdrängt ist schlecht naiv (weil Naivität ohne Verdrängung auszukommen hat – sie darf diesen Begriff nicht einmal kennen …)

    @ momo

    wie kommst du eigentlich darauf, dass mein text eine adorno-kritik sein soll?

    und: wer dem hinwegfegen des tradierten nur ästhetisch ein recht gibt (weil die harmonie die atonalität systemisch aus sich selbst heraustreibt: ABER NUR DANN!), nicht aber gesellschaftlich aus freien stücken (unter verletzung bürgerlicher formen – sozusagen ROH) – den nenne ich konservativ. Aber nicht reaktionär (erst das ist ein schimpfwort für mich – oder restaurativ).
    ich sehe immer noch kopfschüttelnd videos von den ersten beatles- oder stones-konzerten mit einem beanzugten und beschliPPsten publikum … da ist konservatismus in seiner zerbrechlichsten, auf die spitze getriebenen abart doch unmittelbar fühlbar als startrampe des unerhörten, noch larvenhaften unschmetterlingshaften.

    was aber tut ein bürger, wenn er schon jeden letzten schlips abgelegt hat, jeden anzug verbannt und sein kleiderreservoir bei oxfam positioniert hat – und trotzdem keinen zug frischer luft verspürt (also zugestehen müsste, dass ihn weder schliPPs noch armani daran gehindert hat, endlich frei zu sein)?

    der bürgerliche spiesser adorno war im kopf frei – jenseits jeder fetischisierung der erscheinung und des professoralen muffs.

    oder so …

  9. Michel Says:

    @momo: Ich finde die praktischen Implikationen eines Textes schon relevant, so wie ich das sehe haben wir eh einen Konsens darüber, dass die DdA auf eine weitestgehend apolitische Einstellung hinausläuft.

    „Trotzdem kann ich als Kulturindustrieschaffender schon guten Gewissens behaupten, dass gerade am „Kulturindustrie“-Kapitel sehr viel dran ist.“

    Neben die „Elemente des Antisemitsmisus“ habe ich die Kulturindustrie auch als eines der stärkeren Kapitel in Erinnerung, obwohl es mir oft zu antipluralistisch gedacht ist.

    „Das müßtest Du schon deshalb präzisieren, was Du da meinst, weil Du „Idealismus“ zwiespältig verwendest.“

    Das ist tatsächlich eine schwierige Frage, da ich eine durch und durch materialistischer Denker bin und mich der Idealistischen Position mit einer Art Backward engineering nähere ohne sie wirklich nachvollziehen zu können. Daher musste ich um aus DdA schlau zu werden, sie erst in Erkenntnistheorie „übersetzten“. Vielleicht sollte ich wirklich Mal Hegel lesen, aber ich fürchte bis ich zu dem einen Zugang gefunden habe, gehen Jahre ins Land. Was ich als Idealismus bezeichne läuft wohl tatsächlich auf eine moralisch aufgeladene Position, die sich um Fragen der Realisierbarkeit nicht schert, hinaus. (Obwohl das Organische Staatsverständnis ist auch dem Idealismus zuzurechnen.) Aber das ist nicht der Punkt, typisch für den Idealismus wäre es Ideen eine unmittelbare Wirkmächtigkeit zuzusprechen. Im materiellen Denken tun sie das nur über Mikroprozesse (Colemansche Badewann), es wird immer danach gefragt durch was sich ein Makrozustand konstituiert. Konservative sind Idealisten, sie fragen nach den Werten und erwarten das diese die Wirklichkeit bestimmen. Liberale sind Materialisten, sie fragen danach, welche Bedingungen welche Werte begünstigen. Wie gesagt ich kenne Hegel nicht und kann nicht sagen inwiefern das was ich als Idealismus bezeichne auf dessen Philosophie zurückgeht.

    „Was ja unsinnig ist, ist z.B. diese Totalgeschichtsschreibung, die aber mittlerweile ganz im liberalen Lager angekommen ist.“

    Tatsächlich? Wüsste nicht wo. Mit meinem Chauvinismustext versuche ich einen Trend unter vielen zu beschreiben und zu erklären, keine Totale. Oder schmeißt du liberale mit den Ende der Geschichte Neocons zusammen?

    „Das sehe schon deutlich anders. Die weisen halt das, was Du als Begriffsbildung forderst, mit ganz guten Gründen zurück“

    Ich glaube du hast meinen Einwand nicht ganz verstanden, ein Großteil bestimmter Begriffsbildung findet ohne Mitwirken des Bewusstseins oder philosophisch gesprochen des Verstandes statt.

    „Aber macht es denn Sinn, imer wieder dieselbe Leier heraus zu kramen, wenn man sich mit diesem Buch beschäftigt, das ja nun immer noch auch Dich zur Auseinandersetzung reizt? Dann muss doch da irgendwie mehr dran sein…“

    Ich gehe davon aus, dass die DdA den meisten meiner Leser unbekannt war, also macht es schon Sinn auch ältere Einwände hervorzukramen. Was mich an dem Text reizt ist, das ich ihn für repräsentativ für die innere Verfassung der Linke halte. Du sagst ja nicht, wir finden nur die Schlagworte geil, der Text selbst ist eigentlich unbedeutend.

    „Das kannst du auf Horkdorno so aber nicht anwenden, und auch bei Marx ist das komplizierter.“

    Ich glaube hier unterstreicht Andreas die Stärken Hokdornos.

    „Was ich absolut nicht verstehe, ist, dass antisystemtische Positionen „konservativ“ sei soll. Da ist doch das Gegenteil der Fall. Es sind doch Konservatismen, die von natürlichen, sozialen Ordnungen ausgehen.“

    Hab mich schon gewundert, dass du mir das zuerst unbeanstandet gelassen hast. Also das Problem mit dem Konservativen ist ja immer das sie keine Vordenker haben, die man analysieren kann. Am ehesten noch Carl Schmitt, aber der ist eigentlich zu national um konservativ zu sein. Um meine Beschreibung des Konservativismus nachzuvollziehen, musst du dich an konservative Publizisten und Blogger halten. Typisch für Konservative ist nicht, dass sie von natürlichen Ordnungen ausgehen (das wäre eher der Fall für Reaktionäre), sondern dass sie diese Ordnungen historisch gewachsen halten. Die Ursachen dafür, dass die Ordnungen das sind, zu dem sie geworden sind, hält der Konservative nicht für erkennbar; ja er stellt in der Regel die Frage nach den Ursachen nicht (weil er ein Idealist ist). Bzw. er beantwortet die Frage in einer tautologischen Weise. Daher ist der Glaube an Ordnungen für Konservative sehr wohl mit Skepsis gegenüber rationalen Begründungen vereinbar.

  10. momorulez Says:

    „Der Widerspruch

    Hegel beginnt mit der Abhandlung der „Reflexionsbestimmungen“, „Identität“, „Unterschied“, „Widerspruch“ und „Grund“. Er analysiert die Reflexionsbestimmungen in ihrem Verhältnis zueinander und zeigt auf, dass ihnen in ihrer Isolierung gegeneinander keine Wahrheit zukommt. Die bedeutendste Reflexionsbestimmung ist die des „Widerspruchs“. Hegel legt großen Wert darauf, dass der Widerspruch nicht wie bei Kant „in die subjektive Reflexion geschoben“ werden dürfe (L II 75). Dies würde eine „zu große Zärtlichkeit“ (L I 276) zu den Dingen bedeuten. Vielmehr kommt der Widerspruch den Dingen selbst zu. Er ist „das Prinzip aller Selbstbewegung“ (L II 76) und deshalb auch in aller Bewegung vorhanden.

    Das Prinzip des Widerspruchs gilt nicht allein für die äußerliche Bewegung, sondern ist das Grundprinzip alles Lebendigen: „Etwas ist also lebendig, nur insofern es den Widerspruch in sich enthält, und zwar diese Kraft ist, den Widerspruch in sich zu fassen und auszuhalten“ – anderenfalls geht es „in dem Widerspruch zu Grunde“. In ganz besonderem Maße gilt dieses Prinzip für die Sphäre des Denkens: „Das spekulative Denken besteht nur darin, daß das Denken den Widerspruch und in ihm sich selbst festhält“ (L II 76). Der Widerspruch ist so für Hegel die Struktur von logischer, natürlicher und geistiger Wirklichkeit überhaupt.“

    Von hier:

    http://de.wikipedia.org/wiki/Wissenschaft_der_Logik

    Morgen mehr ;-) – und meiner Ansicht nach bietet auch Hegels Konzept der „Sittlichkeit“ einen Schlüssel zum Konservatismus (aber nicht nur zu dem).

    Obgleich es immer auch „Linkshegelianer“ gab und gibt, die da anders sehen, z.B. auch us-amerikanische Kommunitaristen.

    Was aber vielleicht noch die Schwierigkeit verdeutlicht, an einem der DdA innewohnenden „Idealismus“ (den ich da nur hinsichtlich der Kurzschlüssigkeit zwischen Formen Denkens und der Kunst einerseits, gesellschaftlichen Realitäten andererseits, entdecken kann, vielleicht irre ich) nun das Denken „der Linken“ umreißen zu können.

    Dass Marx den Hegel vom Kopf auf die Füßte stellte, daran muss man allerdings immer wieder erinnern.

    Ich bin auch so gar kein Hegel-Kenner; man lernte über ihn viel im Studium und in Sekundärliteratur, und Grundgedanken weiß man dann, aber mehr auch nicht.

    Halte es aber hinsichtlich der Beschäftigung mit der DdA, da unbedingt!, und auch vielem anderen, was Du andeutest, für unerläßlich für Dich, wenigstens Grundkenntnisse draufzuschaffen.

    Der spukt in so vielen Ecken rum, der Hegel, obwohl das keiner mehr wahr haben will. Die DdA bewegt sich viel stärker im Spiel zwischen Nietzsche und Hegel als im Dreieck Kant-Hegel-Marx, glaube ich.

    Abschließend noch sein provokativstes Postulat, vom ollen Hegel:

    Was vernünftig ist, das ist wirklich;
    und was wirklich ist, das ist vernünftig.

  11. Branlet Abercrombie Says:

    Wie wäre es denn, hielten sich die Autoren jener Kritik zunächst an die Regeln der Deutschen Rechtschreibung? Die Kommasetzung ist verheerend, geradezu peinlich, die es mir unmöglich macht, diese hier getätigte Kritik ernst zu nehmen.

  12. momorulez Says:

    Rechtschreibung ist Repression!

    Zum Thema „Konservatismus“ noch: Konservative Gegenspieler der Kritischen Theorie in den ersten beiden Jahrzehnten der BRD waren vor allem Schelsky und Gehlen.

    Linke Theoriebildung fand da ja eh nur – anders als in Frankreich zum Beispiel – im akademischen Bereich auf gaaaaanz wenigen Inseln statt. Bloch, Plessner, Abendroth vielleicht. Was auch die Wirkung der DdA erklärt: Knappes Gut halt in Zeiten konservativer Restauration.

    Fromm und Marcuse zum Beispiel sind aus dem Exil ja gar nicht zurück gekehrt, und ansonsten hatten die Nazis ja Kommunisten, zum Teil auch Sozialdemokraten (siehe Schumachers Biographie) und Juden recht erfolgreich beseitigt.

    War sonst eher ein Terrain literarischer Produktion, linkes Denken – die Gruppe ’47, aber auch Beckett zum Beispiel, dessen Nähe zur „DdA“ ja druchaus gegeben ist. Kann man in Adornos „Versuch, das Endspiel zu verstehen“ ja nachlesen, inwiefern.

  13. prosa Says:

    @ Branlet Abercrombie

    Das deutsche ‚Aber‘ tragen Sie demnach zu Recht im englischen Namen (-; …

    Als ob es bei diesem interessanten Gedankenaustausch zur DdA auf korrekte Rechtschreibung ankäme … um die jeweiligen Argumente ernst nehmen zu können.

    Sorry, halte das für einen ziemlich abgehobenen Vorwand …

  14. Abercrombie Says:

    @Prosa(isch? :-) ):

    Und ob es darauf ankommt. Es zeugt von Respektlosigkeit gegenüber einer Darstellungsform von Sinnhaftigkeit, die bei solch gewichtigem Thema gelungen sein sollte. Freiheit und Optimismus haben nichts, aber auch gar nichts mit Willkür zu tun, welche hier aufscheint, als könne man sich mir nichts, dir nichts über
    Orthographie erhaben zeigen.
    Es wirkt, bei Missachtung dessen, wie „dahin geschi****“ – sorry.

  15. Abercrombie Says:

    @Rechtschreibung ist Repression!

    Was ist denn das für ein Unsinn? Momo rulez: Denk nach.

    http://www.redaktion-bahamas.org/

    Phantasie und Vernichtung – „Momo“ und die autoritäre Sehnsucht des Michael Ende (Peter Siemionek, Nr. 55/2008)

    OdeR wIe, oder, Was? Rächtschraibunck isst Reprässsssssioon.

  16. momorulez Says:

    @Aperkomby:

    Ich finde, es zeugt von Respektlosigkeit und Missachtung, anderen ein „Denk nach!“ zuzurufen. Sowas setzt man voraus. Und ausgerechnet die „Redaktion Bahamas“ zu verlinken, da bewegt man sich dann schon in der Nähe der Menschrechtsverletzung ;-) … gerade dann, wenn diese eigene Vernichtungsphantasien pathisch in Michael Ende hinein projiziert. Glasklar struktureller Antisemtismus, diese Anti-Ende-Agitation.

  17. Abercrombie Says:

    @monorulez

    Wer hat denn mit dem Gerufe, also dem !, angefangen? Denk nach… :)

    Anti-Ende? Die Bahamiten sind eben keine Apokalyptiker. :)

    Aber, das musst du doch zugeben – und selbstredend setzte
    ich das bei dir voraus, das Denken -, dass der Repressionsruf ein wenig „dünn“
    war und ist. Er klingt m. E. nach Kindergarten-Anarcho-Romantik.

    Anyway.

  18. Andreas Ullrich Says:

    form und inhalt eines gedankens habe viel miteinander zu tun. wird die form auf’s dudenhafte zurechtgestückt, leidet der inhalt (je nachdem) vielleicht höllenqualen.

    aber der einwand des incorrecten ist typisch: bevor ihr den mund aufmacht, wascht euch erstmal, zieht ‚was anständiges an + redet hochdeutsch … so haben’s die bürger immer getrieben (offiziell).

    ich schreibe so, wie mir meine zwei zeigefinger halt gewachsen sind. und ansonsten benutze ich eher meine ästhetische intuition als den duden – was natürlich peinlich werden kann, wenn ästhetische willkür die fehlende intuition zu ersetzen sucht.

    aber diese paar dialektischen wendungen scheinen mir schon eher sachdienlich, als einfach die düdische guillotine anzusetzen.

  19. Abercrombie Says:

    Gegen Intuition ist nichts einzuwenden.
    Ich selbst bin Jazzmusiker, ich weiß darum,
    was es bedeutet, intuitiv zu sein/sein zu
    müssen. Aber selbst dort sind konkrete Grenzen gesetzt:
    abstrakt ästhetische decken sich teils mit konkret musikphänomenologischen.
    Ansonsten wird eine Improvisation reine Willkür. Es sei denn,
    das eigene ästhetische Konzept ist das des
    absoluten Zufalls.
    Es gibt aber keine „Rezeptlosigkeit“: lehne ich ein Rezept ab,
    impliziert diese Ablehnung ein neues, nämlich das
    der bewussten Rezeptlosigkeit.

    Aber seit wann leidet ein Text Höllenqualen,
    wenn er dem Regelwerk des Duden folgt!?!

    Ist das hier in FuO ernst gemeint, dass Rechtschreibung
    Repression bedeutet? Das kann nicht wahr sein…

    Die Guillotine setzte ich an, in der Tat. Zu Recht,
    wie ich finde, denn es gibt einen Unterschied, ob
    ich einen eher spontanen, aber (hoffentlich) bedachten Kommentar
    abgebe, der Flüchtigkeitsfehler enthält, so what; oder ob ich
    einen Ausgangstext, einen Diskussionsstartbeitrag
    leiste in einem Blog, der m. E. sorgsam redigiert
    gehört.

    Peace.

  20. prosa Says:

    @ Aberzombie

    >>> … oder ob ich einen Ausgangstext, einen Diskussionsstartbeitrag leiste in einem Blog, der m. E. sorgsam redigiert gehört.

    Also hätten Sie präzisieren sollen, was (oder wen) genau Sie meinen; wie (oder ob) man das macht, steht allerdings nicht im Duden, sondern eher im Knigge ;-) …

    Peace.

  21. Abercrombie Says:

    @antisa

    Ich meinte letztlich den Autor „Michel“. Einen Bolg-Beitrag gehört
    detailliert redigiert, ein Kommentar wie der meinige darf
    ruhig mahl schampich geschrieben sein, da ist es nich
    so shlimm, wenn man Mal was falshc schreitb. :)

    Knigge hin, Duden her,
    fertig ist das Sturmgewehr.

    Sinnlos? Ja. ;)

  22. prosa Says:

    @ Brainless ;-) Abercrombie

    Ja, sinnlos.

    Oder wie Adorno schrub: „Engagement ist vielfach nichts als Mangel an Talent oder an Anspannung, Nachlassen der Kraft.“

  23. Michel Says:

    @momo: Ok, ich setzte eine Hegeleinführung auf meine Leseliste. Was das Verhältnis von DdA zu Hegel angeht glaube ich, dass da viel über den Umgekehrten-Hegel, Marx, reimportiert wurde.

    Mit den linken Inseln magst du für die unmittelbare Nachkriegszeit recht haben, die Linke verstand es ganz gut sich schnell das akademische Milieu zu sichern. Das ist auch einer der Punkte, an dem ich die Wende des linken Selbstverständnisses fest mache, die Dominanz der Intellektuellen zu Lasten der Arbeiterbewegung.

    Wenn dich meine Sichtweise auf den Konservativismus interessiert, solltest du diese Beiden Texte lesen:
    Wider den Konservativismus und Ein Hort voll Irrtümern (Bisher meine erfolgreichsten Beiträge)

    @Abercormbie: Die Zeit die ich der Blogerei widme ist auch begrenzt und das redigieren fällt da oftmals hinten runter. Andere halten das genauso.

  24. momorulez Says:

    „Mit den linken Inseln magst du für die unmittelbare Nachkriegszeit recht haben, die Linke verstand es ganz gut sich schnell das akademische Milieu zu sichern.“

    Das ist selbst nach ’68 ein Mythos und vor ’68 völlig falsch. Es mag eine Phase von ’68 bis ’77 gegeben haben, die eher eine Korrektur konservativer Dominanz war, dann war aber schon Schluß mit lustig. ’77 hat Filbinger die Kritische Theorie für die RAF verantwortlich gemacht, und Jahre zuvor hat ausgerechnet Willy Brandt den „Radikalenerlaß“ abgenickt.

    Es gab und gibt da eher liberale – im klassischen, nicht im „Ancap“-Sinne – Dominanzen, wie sich ja an der Entwicklung des Denkens von Habermas bestens ablesen läßt. Der wurde sozialliberal.

    Meine Lehrer, alle von Adorno kommend, zum Teil noch bei dem promoviert, haben sich alle als Liberale im Dahrendorfschen Sinne verstanden und haben aus der Perspektive dann „rational Choice“, Systemtheorie und konservative Neo-Aristoteliker kritisert. Dass das im Nachhinein manchen „links“ erscheint, diese Dahrendorfereien, das liegt am ganz realen Rechtsruck, in dem unbewußt vieles von Schelsky sich spiegelt.

    Und natürlich gab es diese Absurditäten, dass man dann mit Marx-Lektüren in die Fabriken vorstoßen wollte.

    Aber ansonsten zeichnet sich ja linkes Denken dadurch aus, dass es immer auf konkrete, soziale Situationen reagiert hat. ’68 war ein Aufstand gegen eine höchst repressive Sexualmoral, zum Beispiel. Die „Neuen Sozialen Bewegungen“ – Antipsychiatrie, Anti-Gefängnis, Frauenbewegung, Schwulenbewegung, „Black Panther“, Anti-AKW und Ökologie, Hausbesetzer, „Alternativbewegung“ im Sinne der Etablierung eigener, ökonoischer Strukturen, die taz ist ja so entstanden – wurden dann halt theoretisch reflektiert. Marx hat auf die ganz reale Situation von Arbeitern reagiert, Sartre auf Rassismus und Kolonialismus. Und lediglich linke Denker und Ausnahmerscheinungen wie Hannah Arendt haben den Nazismus überhaupt reflektiert in den 50er und 60er Jahren. Was dann ’68 hervor brachte. Schlüsselerlebnis für Rio Reiser war, dass er die Wehrmachtsuniform seines Vaters auf dem Dachboden entdeckte, und dass dieser nie darüber gesprochen hatte, was er gemacht hat, als er drinnen steckte. Habermas wurde dadurch bekannt, dass er sich darüber echauffierte, dass der allseits dominierende Heidegger Texte aus der Nazi-Zeit einfach so unkommentiert wieder veröffentlichte.

    Deshalb wirst Du auch mit dem Ausgehen von „Urtexten“, die sich dann realisiert hätten, nicht weit kommen, übrigens. Selbst das „kommunistische Manifest“ reagiert auf reale, ökonomische Umbrüche, die Industrialsierung halt.

  25. momorulez Says:

    Ach, einer noch: Mit Marx hat die DdA nur noch peripher und über „Geschichte und Klassenbewußtsein“ von Lukasz vermittelt – „Verdinglichungskritik“ – etwas zu tun. Das ist eine negativ gewendeter Hegel, mit Freud und Nietzsche und Schopenhauer versetzt. Horkheimer und Adorno haben Seminare zur „Wissenschaft der Logik“ abgehalten, jedes Jahr aufs Neue. Da gibt es herrliche Berichte von meinem Lehrer Herbert Schnädelbach zu diesen Seminaren ;-) …

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