Stimmt der Libertarismus mit wissenschaftlichen Erkenntnissen überein?

Es ist die Meinung weit verbreitet, dass man einer Weltanschauung nicht von falsifizierbaren Argumenten anhängt, sondern wegen ihren Werturteilen. Das mag im Großen und Ganzen zutreffen, verdeckt aber die Tatsache, dass auch Weltanschauung eine große Anzahl falsifizierbarer Aussagen macht. Daher der Anspruch des Marxismus ein wissenschaftlicher Sozialismus zu sein. Allerdings kann der Marxismus diesen Anspruch nicht einlösen. So haben sich fast alle seine wesentlichen Aussagen als falsch herausgestellt. (Um nicht zu sagen alle wesentlichen Aussagen die mir bekannt sind.) Die Arbeitswertlehre ist falsch. Es gibt keinen Trent zur Verelendung und hat ihn wahrscheinlich auch niemals gegeben. Das Elend der industriellen Revolution war eine Folge der demographischen Umwälzung, nicht des Kapitalismus. Überakkumulation ist nicht dazu geeignet Wirtschaftskrisen zu erklären. Noch gibt es einen Trent zu Kapitalkonzentration. Soviel zum Marxismus, es stellt sich die Frage ob es um den Libertarismus tatsächlich besser steht.

Um diese Frage zu beantworten ist ein kurzer Überblick über die Grundaussagen des Libertarismus nötig. Die moralphilosophischen Aussagen blenden wir aus, denn das sind tatsächlich reine Werturteile. Die erste Grundaussage ist der Antikollektivismus oder auch methodische Individualismus: das Handeln von kollektiven Entitäten kann auf das Handeln von Einzelnen zurückgeführt werden. Zweitens die Triebfeder staatlichen Handelns ist nicht der Gesamtwille, sonder das Eigeninteresse der Verantwortlichen. Drittens staatliches Handeln tendiert dazu diejenigen auf Kosten von anderen zu bevorteilen, die Einfluss auf Staat ausüben können. Viertens staatliche Leistungen lassen sich ohne oder bis auf wenige Ausnahmen auch von privaten Institutionen erbringen. Es handelt sich hier um sehr allgemeine Aussagen, sodass eine eindeutige Antwort nur mit extremem Aufwand zutage treten dürfte, eine oberflächliche Überprüfung sollte jedoch eventuelle eklatante Widersprüche aufdecken können.

Solche Widersprüche können ausgeschlossen werden, wenn die genannten Aussagen mit Modellen übereinstimmen, die nicht falsifiziert wurden und die Erklärungskraft für empirische Befunde haben. Als wissenschaftliche Referenz ziehe ich Charles B. Blankarts „Öffentliche Finanzen in der Demokratie“, 7.Auflage,München 2008 heran. Es handelt sich hierbei um eine Einführung in die Finanzökonomie, der ökonomischen Theorie des Staates, wie sie in den letzten Jahren entwickelt wurde. Der theoretische Rahmen dieser Disziplin wird durch vier Grundannahmen definiert: 1. Der methodische Individualismus 2. Die Eigennutzannahme 3. Die Annahme gegebener Präferenzen und veränderter Beschränkungen (d.h. das man Verhaltensänderungen eher auf eine Veränderung der Situation zurückführt, als darauf das sich die Handelnden es sich anders überlegt haben, ändert sich die Situation wird der Einzelne auch über einen anderen Umfang an Ressourcen, seinen Beschränkungen, verfügen.) 4. Die Annahme der Existenz relevanter Alternativen (d.h. man geht davon aus, dass wenn sich die Beschränkungen ändern, Einzelne durch Verhaltensänderungen darauf reagieren können. Laut Blankart wird diese Annahme in Marxistischen Theorien verworfen, was zu Zusammenbrucherwartungen und determinierten Geschichtsbild führe.) Zumindest der Antikollektivismus scheint noch aktuell zu sein, wenn auch erwähnt werden muss, dass außerhalb der Finanzökonomie noch Ansätze verfolgt werden, die den methodischen Individualismus verwerfen.

Auch die zweite These ‚die Triebfeder staatlichen Handelns ist nicht der Gesamtwille, sonder das Eigeninteresse der Verantwortlichen‘ ist im Finanzökonomischen Modell enthalten. In späteren Kapiteln wird dieser Punkt weiter ausgeführt und etwa die Wirkung verschiedener Mehrheitsregeln auf die Entscheidungsfindung diskutiert. Interessant ist, dass der Finanzökonomie zufolge staatliches Handeln durch ein zweistufiges Prinzipal-Agent-Verhältnis bestimmt wird; der Prinzipal ist zunächst der Wähler der Politiker verhält sich ihm gegenüber als Agent. Der Politiker kann jedoch nicht selbst handeln, sondern gibt der Verwaltung Anweisungen. Geht man die Hierarchie der Verwaltung durch wird man auf weitere Prinzipal-Agent-Verhältnisse stoßen. Ein etwaiger Gesamtwille der Wähler würde in der konkreten Entscheidungsfindung und Ausgestaltung immer weiter verwässert werden.

Im Zusammenhang mit der dritten These ‚staatliches Handeln tendiert dazu diejenigen auf Kosten von anderen zu bevorteilen, die Einfluss auf Staat ausüben können‘ ist insbesondere das Wagnersche Gesetz zu erwähnen. Es sagt aus das der Staat im Vergleich zur gesamten Wirtschaftlichen Aktivität überproportional wächst. Aufgestellt wurde es bereits im 19. Jahrhundert noch bevor es zu dem massiven Anstieg des Staatsanteils von ungefähr 10% auf um die 50% im 20. Jahrhundert kam. Blankart geht anhand von Einkommens- und Preiselastizitäten der Frage nach ob dieser Anstieg den Wünschen der Bürger entsprechen kann, also die Nachfrage nach Gütern, die vom Staat monopolisiert wurden, im Vergleich zu anderen angestiegen ist und kommt zu dem Ergebnis das nur etwa die Hälfte des Staatswachstums darauf zurückzuführen sind, was der libertären Erwartung entspricht.

Eine Studie (Bjørnskov, Christian; Dreher, Axel; Fischer, Justina, ‘The bigger the better? Evidence of the effect of government size on life satisfaction around the world’, Public Choice, Volume 130, Numbers 3-4, March 2007 , pp. 267-292(26)) hat gezeigt, dass sich die Größe der Staatsausgaben negativ auf die Lebenszufriedenheit der Bürger auswirkt. Besonders stark ist der Effekt auf Männer und Personen mit niedrigen oder mittleren Einkommen, wenn die Regierung von der Linken gestellt wird. Auch das stützt die dritte These.

Die vierte These ‚ staatliche Leistungen lassen sich ohne oder bis auf wenige Ausnahmen auch von privaten Institutionen erbringen‘ wird von Blankart nicht unterstütz: Er führt an dass öffentliche Güter vom Staat bereit gestellt werden müssen. Er geht davon aus, dass die Verfassung Regeln enthält die von jedem als gerecht angesehen werden und vertritt die Meinung, dass Umverteilung die auf Basis dieser Regeln beschlossen wird gerecht sei. Allerdings zeigt er ebenso, dass Umweltprobleme durch das Zuteilen von Verschmutzungsrechten auch ohne Regulierung gelöst werden können. Die Argumente die Blankart zugunsten des Staates aufführt überzeugen mich jedoch nicht, ein ökonomisches Modell kann kaum alle Möglichkeiten abdecken, die Privatanbieter einfallen, um Trittbrettfahrerprobleme zu lösen. Möglicher Weise liegt auch eine ähnliche Situation vor, wie in der Banktheorie, dort geht man davon aus, dass dem Bankwesen immanente Instabilitäten zu eigen sind, ohne das es dafür ausreichende theoretische oder empirische Belege gebe.

Blankarts Buch behandelt eine Vielzahl weiterer interessanter Modell und Untersuchungen, die libertäre Ideen stützen oder mit denen sich Libertäre auseinander setzten sollten. Daher kann ich es allen die tief in die ökonomische Beschreibung des Staates einsteigen wollen nur empfehlen.

12 Antworten to “Stimmt der Libertarismus mit wissenschaftlichen Erkenntnissen überein?”

  1. Dirk F. Says:

    „Er führt an dass öffentliche Güter vom Staat bereit gestellt werden müssen. “

    In dieser Aussage liegt eine Wertentscheidung verborgen.

  2. Michel Says:

    Ups ertappt. Es muss natürlich heißen, er ist der Meinung, dass der geeigneter sei Staat die so genannten öffentlichen Güter bereitzustellen als der Markt.

  3. Markus Says:

    Zum Einstieg sei einmal folgender Link gesetzt:

    http://www.jjahnke.net/skan.html
    Informationsportal Globalisierung – Standort Deutschland – Neoliberalismus – Skandinavien, Joachim Jahnke

    Daß sich der real existierende Kapitalismus in seiner neoliberalen Variante an den Rand des Abgrunds manöviert hat, scheint sich bei den Adepten des Libertarianismus noch nicht herumgesprochen zu haben.

    Ein Wort auch noch zum „Wagnerschen Gesetz“:
    Die Tendenz zur Ausdehnung der Staatstätigkeit in entwickelten Industrieländern wird in diesem von dem Nationalökonomen Adolph Wagner aufgestellten Theorem empirisch bestätigt und ausdrücklich befürwortet. So nutzlos und schädlich kann ein ausgebauter Kultur- und Wohlfahrtsstaat doch nicht sein, oder?

  4. Rayson Says:

    Allmählich glaube ich, dass es sich bei Markus um einen von Jahnke programmierten Bot handelt, der die Aufgabe hat, möglichst viele Links zu seiner Website abzusetzen…

  5. Markus Says:

    @ Rayson

    Das stimmt definitiv nicht. Aber deine „Querschüsse“ sind ja auch nicht so aussagekräftig, wie diese hier:

    http://wirtschaftquerschuss.blogspot.com/
    Querschüsse

    Du könntest dich ja auch auf „linken“ Websites umschauen, damit du aus der liberalistischen Binnenkommunikation einmal herauskommst.

  6. Rayson Says:

    @Markus

    Woher wolltest du wissen, wo ich mich überall umschaue?

  7. Michel Says:

    @Markus: Was oft verschwiegen wird, ist das die skandinavischen Ländern auch aus neoliberaler Sicht als Vorbildlich gelten. Siehe: http://www.heritage.org/Index/Ranking.aspx
    Platz 8, 17 und 26.

    Hat die Propaganda der Kapitalismus sei schuld an der Krise eigentlich mehr als nur anekdotische Evidenz? Diese Art von Krisen, wie wir sie jetzt erleben, sind genau derart wie sie von Libertären erwartet werden. Ausführlicher wird das bei J.G. Hüslmann, ‚Die Ethik der Geldproduktion‘ oder für die Harten K. Dowd, ‚Laissez-faire Banking‘ beschrieben.

    Zum Wagnerschen Gesetz bitte ich dich diesen Beitrag (das mit den Geistreichen meine ich nicht) zur Kenntnis zu nehmen und nehme es mir heraus mich selbst zu zitieren:

    Blankart geht anhand von Einkommens- und Preiselastizitäten der Frage nach ob dieser Anstieg den Wünschen der Bürger entsprechen kann, also die Nachfrage nach Gütern, die vom Staat monopolisiert wurden, im Vergleich zu anderen angestiegen ist und kommt zu dem Ergebnis das nur etwa die Hälfte des Staatswachstums darauf zurückzuführen sind.

    Eine Studie (Bjørnskov, Christian; Dreher, Axel; Fischer, Justina, ‘The bigger the better? Evidence of the effect of government size on life satisfaction around the world’, Public Choice, Volume 130, Numbers 3-4, March 2007 , pp. 267-292(26)) hat gezeigt, dass sich die Größe der Staatsausgaben negativ auf die Lebenszufriedenheit der Bürger auswirkt.

  8. Markus Says:

    @ Rayson

    Dann verstehe ich nicht, weshalb du so gereizt auf die aus meiner Sicht fundierten Angaben aus Jahnkes Infoportal reagierst.

    @ Michel

    In Reihen der Wirtschaftsliberalen gibt es eine Menge an kreativen Köpfen und originellen Denkern. Aber das bedeutet nicht, daß diese die Wahrheit für sich gepachtet haben und nicht auch Fehler begehen.

    Wenn also selbst aus neoliberaler Sicht die skandinavischen Länder als vorbildlich gelten, dann kann ich nicht recht nachvollziehen, weshalb dies in der Öffentlichkeit „verschwiegen“ wird. Und auch ist es doch merkwürdig, daß nach der von dir zitierten Studie sich die Größe der Staatsausgaben angeblich negativ auf die Lebenszufriedenheit der Bürger auswirke. In den skandinavischen Ländern ist die Staats- und Steuerquote aber bekanntlich höher als etwa in Deutschland bei größerer Lebenszufriedenhiet der Menschen. Das muß etwas mit der Art der dort betriebenen Politik zu tun haben und einem anderen Verständnis von individueller Freiheit und kollektivem Gemeinwohl: Der Staat als Partner.

  9. Rayson Says:

    @Markus

    Ich reagiere nicht gereizt auf die Ergüsse irgendeines Herrn Jahnke, sondern auf Leute, die meinen, Linkspam ersetze die eigene Argumentation.

  10. Michel Says:

    @Markus: Es wird verschwiegen, weil es kaum Wirtschaftsliberale in dem Medien gibt, die das darstellen könnten.
    In den skandinavischen Ländern kommen zwei Dinge zusammen ein hoher Grad an Gewerbefreiheit, der sich positiv auswirkt und hohe Steuern (wobei die Steue- und Abgabenquoten auch nur etwa 5-8 Prozentpunkte höher sind als hierzulande). Welcher Einfluss überwiegt ist zunächst offen. Die Erfahrung mit diesen Ländern hat nun gezeigt, dass offenbar der hohe Grad an Gewerbefreiheit größeres Gewicht hat.
    Das der Staat in Ländern mit geringerer Bevölkerungszahl nicht ganz so böse ist wie anders wo, kann man sich durchaus vorstellen.

  11. Markus Says:

    @ Rayson

    Du bist aber der einzige, der „Noten“ verteilt.

    @ Michel

    Wenn es „richtig“ gemacht wird, muß also selbst ein gut ausgebauter Staatssektor nicht „böse“ sein. Leider wissen das hierzulande viele nicht oder „verschweigen“ es lieber.

  12. Rayson Says:

    @Markus

    Wenn du damit meinst, dass ich es schätze, wenn mein Gegenüber selbständig zu argumentieren weiß, statt nur Vorgekautes wiederzugeben, dann hast du recht.

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