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Wie rational ist die Politik?

November 23, 2016

Der Begriff „Postfaktisch“ hat die öffentliche Debatte erobert. Frank-Walter Steinmeiers hat den Begriff zwar nicht direkt popularisiert, aber die Debatte auch die entsprechende Frage gelenkt, indem er in einem Beitrag in der FAZ feststellt, dass in der „Öffentlichkeit Fakten verbogen und abgestritten werden“. Sogar er erkennt an, dass es für die Gesellschaft überlebenswichtig sei, dass Debatten auf der Grundlage von Fakten geführt würde. Die Ursachen sieht er jedoch in einem „nicht enden wollenden Schwall von Informationen“, der von der digitalen Revolution erzeugt werde.

Es lässt sich kaum abzustreiten, dass Steinmeier damit recht hat, dass in der Öffentlichen Debatte Fakten keinen hohen Stellenwert haben und das es enorme Schäden verursachen kann, wenn Entscheidungen nicht auf der Basis von Tatsachen gefällt werden. Allerdings ist Steinmeier als Bote dieser Nachricht nicht glaubwürdig. So verweigert sich doch seine eigene Partei dem Faktum, dass die Einheitsschule die Leistungsfähigkeit des Schulsystems beeinträchtigt. Auch gehört er einer Regierung an, deren Versagen in der Energie- und Flüchtlingspolitik, gerade durch das hartnäckige abstreiten von Fakten begründet ist. Es drängt sich der Verdacht auf, dass postfaktische Politik weiter verbreitet ist und tiefere Ursachen hat als Steinmeier bereit ist zuzugestehen.

Wie jede Organisation in der mehrere Menschen an Entscheidungen beteiligt sind, ist die Politik anfällig für Groupthink. Unter Groupthink versteht man die Tendenz von Gruppen schlechtere Entscheidungen zu treffen als es Kompetenz und Informiertheit der einzelnen Mitglieder erwarten ließe. Zu dem Groupthink kommt es, weil die Mitglieder Informationen und Meinungen zurückhalten, die dem Gruppenkonsens zuwiderlaufen. Dieses Verhalten ist mehr als verständlich, denn Widerspruch und Kritik führt beim Empfänger zu Stress. Für einen Entscheidungsprozess konstruktives Verhalten ist alles andere als nett. Zu Groupthink im eigentlichen Sinne kommt es wenn sich die Gruppe vor äußeren Einflüssen abschottet.

Dass in der Politik starker Groupthink wirkt, sieht man sehr gut an dem selektiven Umgang mit wissenschaftlichen Fakten. Fakten, die die vorherrschende Meinung stärken, werden akzeptiert und weiterverbreitet. Ein Beispiel wäre die Klimaforschung. Ergebnisse, die jedoch den Konsens wiedersprechen, werden ignoriert und verschwiegen. Hier wäre ein Beispiel der Fakt das nach Expertenmeinung grüne Gentechnik nicht mit höheren Risiken verbunden ist als die traditionellen Züchtungsmethoden.

Die Politik anfälliger für Groupthink als es bei anderen Institutionen der Fall ist, denn sie hat nicht nur Sachfragen zum Inhalt, in der Politik wird primär Macht verhandelt. Die Sachfragen werden oft zum bloßen Vehikel für Machtkämpfe. In der Politik kann man es sich nicht leisten Dogmen in Frage zu stellen, weil dies immer auch Angriff gegen die Gruppe gewertet wird. Ein Politiker, der in Sachfragen Kritik äußert, sitzt schnell zwischen allen Stühlen.

Verschärfend kommt hinzu, dass sich inzwischen die Unkultur ausgebreitet hat, abweichende Meinung nicht als legitim anzuerkennen, sondern im Gegenteil als unmoralisch zu dämonisieren. Kernenergiebefürworter können ein Lied davon singen. Diese Unkultur ist in linken Parteien, sogar noch stärker verbreitet als in liberalen oder konservativen. Als politische Strategie war dieses Vorgehen in der Tat erfolgreich, die Folge war jedoch, dass in Politik und Medien legitime und notwendige Gegenmeinungen fehlen und wie die Reaktionen nach der Wahl Trumps zeigen, die Fähigkeit verloren gegangen ist, das Ergebnis demokratischer Entscheidungen zu akzeptieren.

Meines Erachtens ist das einige Mittel das gegen Groupthink hilft, die Gruppe schnelles Feedback auszusetzten. Durch schnelles Feedback werden nicht nur Fehler schnell erkannt. Auch ist der Gruppe noch präsent, wie die Prozesse aussahen, die zu der schlechten Entscheidung geführt haben und was unterlassen wurde, um zu einer guten Entscheidung zu gelangen. Organisationen haben vor allem dann ein Interesse daran schnelles Feedback zu erhalten, wenn ihre vitalen Interessen davon abhängen. In der Wirtschaft ist dies schon dadurch gegeben, dass ein fehlerhaftes Produkt Schadensersatz und einen schlechten Ruf nach sich ziehen. In der Politik haben die Akteure hingegen die Macht sich dem Feedback ganz zu entziehen. Prominentestes Beispiel für dieses Verhalten ist der Vertuschungsskandal um die Kölner Silvesternacht. Ähnliches Verhalten mag es auch in der Unternehmenswelt geben, Unternehmen die so handeln werden jedoch früher oder später zum Opfer der kreativen Zerstörung.

Wir haben gesehen, dass es für postfaktische Politik tiefere Ursachen gibt – Groupthink. Für die die Politik besonders anfällig ist. Meines Erachtens ist das Problem massiv und entspringt dem Wesen der Politik, den Machtbesitz auszuhandeln, so dass nur für triviale Probleme von der Politik rationale Entscheidungen erwartet werden können. Die Lösung muss es sein möglichst gar keine Entscheidungen der Politik anzuvertrauen.

Was die Förderung der Elektromobilität über unsere politischen Eliten aussagt – Teil 3

November 3, 2016

Im ersten Teil dieser Serie haben wir gesehen, dass es unwahrscheinlich ist, dass sich Elektroautos aus eigener Kraft durchsetzen können. Im zweiten Teil zeigte sich, dass ein erzwungener Umstieg von den Verbrennern auf das Elektroauto mit erheblichen gesellschaftlichen Risiken und Belastungen verbunden ist. Die diesen Teil der Serie werde ich der Frage nachgehen, was die Fehlentscheidung, massiv auf die Elektromobilität zu setzen, über den Charakter unsere politischen Eliten aussagt.

Die Apologeten der Elektromobilität würden gegen die Argumente, die ich in dieser Serie vorgebracht habe, einwenden, dass die Einsparung an CO2, die Risiken und Belastungen wert sei. Dieser Einwand ist zu hinterfragen: woher kann man wissen, dass die Einsparungen das wirklich wert sind? Was auf den ersten Blick nach einer Übung in komplizierten technischen Berechnungen aussieht, hat eine verblüffend einfach Antwort: Die Einsparungen sind es wert, wenn der Verkehr in den CO2-Handel einbezogen wird und sich unter diesen Bedingungen das Elektroauto gegen die Verbrenner durchsetzt.

Der CO2-Handel hat den Zweck die Anstrengungen, CO2 einzusparen, dort zu fokussieren, wo dies mit dem kleinsten Aufwand den größten Effekt erzielt. Dazu werden die Wirtschaftssubjekte mit der Menge an Rechten, CO2 freizusetzten ausgestattet, die unsere weisen Staatlenker für angemessen halten. Jeder Emittent von CO2 ist dann mit der Frage konfrontiert, ob seine CO2 freisetzenden Aktivitäten sich noch lohnen wenn sie mit Verschmutzungsrechten hinterlegt werden müssen. Die Folge dieser Institution ist, dass die Aktivitäten eingestellt werden, die bezogen auf die gleiche Menge an CO2-Emission am wenigsten Wert schaffen und dass die CO2-Emissionen, die mit am wenigsten Aufwand vermieden können, eben auch vermieden werden. Es spielt dabei keine Rolle, auf wen die Emissionsrechte anfänglich verteilt wurden.

Der Verkehr könnte in den CO2-Handel eingebunden werden. Dazu wäre es ausreichen, wenn für sämtlichen in Verkehr gebrachten Kraftstoff einer Menge an Emissionrechten hinterlegt werden muss, die seinem Kohlenstoffgehalt entspricht. Diese Maßnahme kann zu unterschiedlichen Ergebnissen führen: Die Verkehrsteilnehmer können zu dem Schluss kommen, dass sich Elektroautos doch mehr lohnen als Verbrenner, sie können sich dafür entscheiden, dass ihnen die bessere Tauglichkeit der Verbrenner wichtiger ist, als die finanziellen Vorteile eines Elektroautos, so dass das entsprechende CO2 an anderer Stelle eingespart werden wird oder die Industrie reagiert mit technischen Maßnahmen, durch die die Verbrenner auch trotz CO2-Handels wirtschaftlicher werden als das Elektroauto.

Der Vorteil einer solchen Regelung wäre, dass die Abwägung individuell erfolgt. Es wäre nicht die Politik die für alle entscheidet, was die bessere Technologie ist, sondern jeder kann anhand seiner eigenen Bedürfnisse selbst entscheiden. Niemand wäre gezwungen den Vorgaben der Mehrheit zu folgen, ein Teil der Verkehrsteilnehmer würde so entscheiden und die übrigen anders. Es stellt sich also die Frage warum das nicht der von der Politik angestrebte Weg ist.

Es fällt auf, dass die Politik dadurch, dass sie sich zur Unzeit auf eine Technologie festlegt, die Kontrolle über Entscheidungen an sich reißt, die optimaler Weise an anderer Stelle getroffen werden sollte. Die Politik kennt weder alle Motive, die bei einem Autokauf eine Rolle spielen, noch kennt sich die technischen Rahmenbedingungen, die sich in den nächsten Jahren ergeben. Dennoch steht das Ziel, das der Verbrenner dem Elektroauto weichen muss schon fest. Der Politik muss also zu minderst fehlende Demut bescheinigt werden. Sie hat kein Gespür für die eigenen Grenzen und Unzulänglichkeiten.

Des Weiteren zeugt das starre Festhalten an einem einmal gewählten Mittel, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen von Engstirnigkeit. Eine einmal getroffene Entscheidung kann nur noch kaum revidiert werden. Ein ähnliches Verhalten sehen wir in der Flüchtlingsfrage. Die Ursache für diese Engstirnigkeit ist weniger in persönlichen Charaktereigenschaften der einzelnen Politiker zu sehen, sondern darin, dass in der Politik Sachfragen als Medium für Machtkämpfe dienen. Sachfragen dienen dazu Allianzen zu bilden, das Ansinnen, eine Beschlussfassung zu revidieren, muss auf Angriff der sie tragende Allianz interpretiert werden.

Schließlich ist das Verhalten der Politik durch ein an Kontrollwahn grenzendes Misstrauen gegenüber den Untertanen gekennzeichnet. Sie traut es den Untertanen nicht zu angemessene Entscheidungen zu treffen, obwohl diese über überlegeneres Wissen verfügen. Diese kennen die eigenen Bedürfnisse besser, als die Politik je könnte, weil das Wissen über die Bedürfnisse über alle Köpfe verteilt ist und sie kennen den aktuellen technischen Stand, während die Entscheidungen der Politik immer ein Stück weit zurückliegen und politische Entscheidungsprozesse ohnehin zu langsam sind um mit den neusten Technischen Entwicklungen mitzuhalten.

Fehlende Demut, Engstirnigkeit und übersteigertes Kontrollbedürfnis sind Merkmale einer narzisstischen Persönlichkeit. Grundlegend für eine narzisstische Störung ist die Unfähigkeit die Bedürfnisse anderer zu erkennen. Für einen Narzissten sind diese nicht nur zweitrangig, sie sind nicht existent. Tatsächlich kann man sich nicht dem Eindruck erwehren, dass die Bedürfnisse der breiten Bevölkerung für die Politik nur dann interessant sind, wenn sie der Projektion eigener Bedürfnisse dienen.

Macht der Kapitalismus krank?

Oktober 12, 2016

Auf faz.net ist vor einiger ein äußerst interessantes Interview mit dem Titel „Macht der Kapitalismus uns krank“ erschienen. In dem Interview vertritt der Soziologe und Politikwissenschaftler Hartmut Rosa die These, dass „Der Kapitalismus […] Verhältnisse [befördert], unter denen Burnout oder Depressionen zunehmen“. Während der Soziologe, Psychologe und Psychotherapeut Martin Dornes diese These bestreitet.

Rosa führt als Belege für seine These den Anstieg schwerer psychischer Krankheiten an und erklärt diesen damit, dass sich im heutigen Kapitalismus im Gegensatz zu dem früherer Tage die Zukunftshorizonte eingetrübt haben. „In den heutigen Industriegesellschaften sagt die Mehrzahl der Eltern nicht, wir müssen hart arbeiten, damit es den Kindern bessergeht. […] Sie sagen: Wir müssen hart arbeiten, damit es ihnen nicht schlechtergeht.“ Der Umstand, dass die eigenen Anstrengungen keine Verbesserungen zur Folge haben, führe zu einer zynischen Haltung und Burnout.

Der Mechanismus den Rosa anführt, dass die Entkopplung zwischen eigenem Bemühen und Erfolg die Menschen krank macht, ist in der Psychologie anerkannt und wird als das Konzept erlernte Hilflosigkeit zur Erklärung von Depressionen verwendet. So gesehen wäre Stress die Folge dessen, dass in den letzten Jahren die Reallöhne stagniert sind.

Man würde Rosa jedoch unrecht tun wenn man seine Argumentation auf diesen Punkt einengt. Sein eigentliches Thema ist die Zeit. Für ihn stellt ein mehr an Freizeit ein Verlust derselben dar, da überproportional zu dem Maß, in dem die Freizeit wächst, die Pflichten anwachsen, die in dieser abzuleisten sind. Für Rosa steht der Einzelne immer unter dem Druck der Konkurrenz, der dazu führt, dass die Ansprüche immer höher geschraubt werden. Dieser Umstand ist nach Rosa untrennbar mit dem Kapitalismus verbunden. Als Ausweg sieht er einzig die Umgestaltung der Gesellschaft.

Wie sich Rosa eine bessere Alternative vorstellt bleibt wie gewohnt im Dunkeln. In dem Interview erfahren wie nicht mehr als, dass er den Kapitalismus überwinden will. Es bleibt den Leser überlassen zu überlegen wie eine Gesellschaft aussehen müsste. Wenn man bedenkt, dass es in einer solchen Gesellschaft die Möglichkeit eingeschränkt wäre, Ansprüche an seine Handelspartner und Mitmenschen zu stellen, wäre sie wohl in vielerlei Hinsicht weniger frei.

Interessanterweise diskutiert Rosa nicht, inwiefern die voranschreitende Optimierung von Arbeitsabläufen zu weniger Totzeiten und damit zu einer Verdichtung der Arbeit führt und wie sich das auf die mentale Belastung der Beschäftigten auswirkt. Möglicherweise führt das ihn zu weit von seinem eigentlichen Forschungsinteresse, wie sich das Individuum organisiert, weg.

Dornes bestreitet bereits, dass die Zunahme der Burnout-Diagnosen auf einen tatsächlichen Anstieg dieser Erkrankungen zurückzuführen sei. Vielmehr würden Depression und Burnout heute besser erkannt und bereits bestehende Erkrankungen eher in das diagnostische Hellfeld überführt. Einen Anstieg an Diagnosen habe es im „semisozialistischen“ Schweden genauso gegeben. Seinen Beobachtungen zufolge ist es auch nicht so, dass wir den Belastungen heute weniger gewachsen wären, im Gegenteil er attestiert dass die psychosoziale Kompetenz von Eltern zugenommen hat.

Betrachtet man die Argumentation Rosas und Dornes‘ genauer, stellt man fest, dass Rosas Begründungen darauf beruhen, dass er die Phänomene in eine möglichst konsistente Erzählung einbettet und quasi die Funktionsweise der Gesellschaft auf wenige Grundmotive zurückführt, eben den Kapitalismus. Es ist wenig überraschend, dass ein linker Politikwissenschaftler wenig Wert auf empirische Beweisführung legt.

Rosas Argumentation ist rein qualitativer Natur. Die Mechanismen, die er benennt, mögen einen Plausibel vorkommen, es lässt sich anhand seiner Argumentation nicht feststellen, ob sie wirklich stark genug sind, um einen dominierenden Einfluss auf einen auszuüben. Dornes hingegen begründet seine Position eher mittels Statistiken und lässt seine Praxiserfahrung in seiner Argumentation einfließen. Er sieht eine Häufung psycho-sozialer Störungen eher bei den unteren Schichten. Es ist nicht auszugehen, dass an die unteren Schichten höhere Ansprüche gestellt werden, daher ist es seht unwahrscheinlich, dass die von Rosa beschriebenen Mechanismen ursächlich für den Großteil psycho-sozialer Störungen sind und andere Ursachen viel entscheidender sind.

Rosas Argumentationsweise ist sicherlich besser geeignet eine öffentliche Debatte für sich zu gewinnen. Da er jedoch völlig auf empirische Belege verzichtet muss man Dornes‘ Argumentation größere Beweiskraft zugestehen.

In Rosas Sicht der Dinge leitet sich alles von wenigen Grundprinzipien ab, der Stress des Einzelnen ist nur eine Erscheinungsform des Weltübels Kapitalismus. Die Gestaltungsmöglichkeiten des Einzelnen verschwimmen in dieser Sichtweise; eine Besserung der Lage bietet allein das kollektive Aufbegehren gegen die herrschenden Zustände. Dornes hingegen fragt nach den spezifischen Umständen und fragt was kann der Einzelne im Hier und Jetzt tun damit es ihm besser geht. Ironischer Weise ist es die zweite Sichtweise von der man sich eher gesellschaftliche Veränderungen erhoffen kann. Wenn viele im Einzelnen bessere Arbeitsbedingungen durchsetzen, führ das eher zu einer besseren Arbeitskultur als ideologische Agitation und Klassenkampf.

Etatismus und das Irrationale

Januar 15, 2013

Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.

Deutsches Sprichwort

Je mehr eine Gesellschaft ihren freiheitlichen Charakter verliert, desto eher werden Entscheidungen nicht nach rationalen Erwägungen getroffen. Prominente Beispiele findet man in der Geschichte des Kommunismus. Wegen des Lyssenkoismus wurden in der Sowjetunion Wissenschaftler verfolgt und schließlich verfehlte Entscheidungen in der Landwirtschaft getroffen, die eine Hungersnot zu Folge hatten. Aber auch in freieren Gesellschaften, lassen sich ähnliche Effekte beobachten.

Die Ursache ist, dass im Etatismus der Druck fehlt Entscheidungen zu korrigieren. Wenn Entscheidungen aufgrund von fehlerhaften Annahmen getroffen werden, führen sie zu negativen Resultaten. In einer freien Gesellschaft können die Menschen sofort auf darauf reagieren, z.B. in dem sie eher mit einem Konkurrenten kooperieren. Wenn eine Gesellschaft durch Zwang dominiert wird, fehlt dieser Feedback-Mechanismus. Die Menschen haben keine Wahl als mit schlechten Resultaten zu leben, weil sie zur Kooperation gezwungen werden.

Dieser Umstand hat zur Folge, dass die Qualität der Entscheidungsfindung abnimmt. Wenn man nicht für die Folgen seines Tuns verantwortlich gemacht wird, wird man seine Energie nicht damit verschwenden sich sein Handeln gut zu überlegen, sondern die Energie in Dinge stecken, die das Fortkommen mehr befördern: Das Schmieden von Bündnissen und die Suche nach Patronage. Da diejenigen die diesen Gedanken am konsequentesten umsetzen, am ehesten Karriere machen, füllen sich die oberen Ränge einer Hierarchie mit Menschen, deren Qualität nicht in ihrer Sachkenntnis liegt, sondern im möglichst kantenlosen Nach-Oben-Gleiten.

Zu der Anpassung an Patrone und Bündnispartnern kommt der Bedürfnis nicht anecken zu wollen. Dieses Bedürfnis ist umso stärker, je mehr unser Einkommen nicht von unserer Leistung abhängt, sondern von der Meinung anderer über uns. Daher kommt eine starke Orientierung an der Normalität. Selbst absurde Thesen, wie das Frauen für gleiche Leistungen weniger Gehalt bekommen, werden nicht hinterfragt, wenn sie von der Öffentlichkeit getragen werden. Hier kommt es weniger auf die tatsächlichen Mehrheitsverhältnisse an, sonder darum das abweichenden Meinungen kein Forum mehr geboten wird. Hat der Einzelne den Eindruck mit seiner Meinung alleine zu sein, wird er nicht riskieren sie öffentlich zu vertreten. Wenn wenige Menschen eine Meinung öffentlich vertreten, werden andere die der gleichen Meinung anhängen sich ebenfalls zurückhalten. Diesen sich selbst verstärkenden Prozess nannte Nölle-Naumann Schweigespirale.

Da das in den Medien vertretene politische Spektrum immer enger geworden ist, kann man davon ausgehen, dass die Medieneliten ähnliche Schweigespiralen durchlaufen haben. Dies wird durch die Besonderheiten der Deutschen Medien begünstigt. Hier haben die öffentliche-rechtlichen Sender eine Leitfunktion, die durch ihre Finanzierung über Zwangsgebühren gesichert ist. Durch die Finanzierungsweise spielt Leistung bei der Besetzung der Posten nur eine untergerodete Rolle, wichtiger sind die persönlichen Beziehungen. Schafft es eine politische Strömung die Öffentlichen Medien dominieren und Andersdenkende zu verdrängen, hat sie einen gewaltigen Hebel um in der Gesellschaft Schweigespiralen in Gang zu setzen. So gibt es beispielsweise Sprachregeln zu energiepolitisch und Klima relevanten Berichten.

In einer freien Gesellschaft ist die öffentliche Meinung heterogener. Hier wird belohnt wer Eigeninitiative zeigt und die Fähigkeit zum eigenständigen Denken behält. Im Etatismus werden wir dazu erzogen nicht anzuecken. Das fängt schon in der Schule an, in der man, um gute Noten zu erhalten nicht zu laut sagt, was der Meinung des Lehrers widerspricht. In einer Freien Gesellschaft hat man am Markt Erfolg, in einer etatistischen durch das Schmieden von Bündnissen und politische Einflussnahme. Um am Markt Erfolg zu haben, muss man sich mit dem beschäftigen was ist. In politischen Netzwerken hat man Erfolg, in dem man vertritt was die Leute glauben.

Die Abwertung der Wahrheitsliebe zugunsten des Konformismus hat erstaunliche Folgen. Da es eine größere Rolle spielt wer eine Meinung vertritt als ob sie zutrifft, geht die Fähigkeit verloren eine Argumentation zu prüfen. Die wenigsten Menschen sind in der Lage einen logischen Schluss von reiner Plausibilität zu unterscheiden. Damit geht eine Errungenschaft der Aufklärung verloren, die Orientierung an der Rationalität. Seit der Aufklärung mussten Entscheidungsträger in der Lage sein ihr Handeln rational zu begründen. Das heißt so zu erklären, dass es für andere nachvollziehbar ist. Wird es noch nicht einmal dann öffentlich kritisiert, wenn jemand absurde Entscheidungen trifft, etwa den überhasteten Ausstieg aus der Kernenergie.

Die Orientierung an der Rationalität war ein großer Schritt in Richtung einer freien Gesellschaft, da durch sie die Willkür der Herrscher eingeschränkt wurde.  Heute büßt die Rationalität ihre Leidfunktion ein, wie man daran sieht, dass das Quellenargument wieder akzeptiert wird. Also eine Argumentation als wiederlegt gilt wenn, denjenigen, der die Argumentation vorbringt, Eigeninteressen unterstellt werden. Es handelt sich um einen klassischen Fehlschluss, wer das Quellenargument verwendet, dem sollte das eigentlich peinlich sein.

Die Rationalität ist ein hohes Gut. Nur sie sichert das die richtigen Entscheidungen getroffen werden, was unser Wohlergehen sichert. Aber nur wenn die Menschen die Wahl haben mit wem sie kooperieren und wem sie die Kooperation verweigern, entsteht der Druck der notwendig ist, um den Wert der Rationalität aufrecht zu erhalten.

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Naives Misstrauen

Dezember 19, 2012

In politischen Diskussionen wird man oft bemerken, dass es so gut wie nie zu einem Konsens kommt und trotzdem alle Beteiligen ihre Überzeugung für vernünftig halten. Der Grund dafür liegt seltener in unterschiedlichen Werturteilen, sondern darin das Tatsachen anhand unterschiedlicher Heuristiken eingeordnet werden. Eine Studie über die Wirkung von Derivaten auf die Lebensmittelpreise mag den einen überzeugen, der andere hält sie für ein Produkt von Lobbyismus und ignoriert sie einfach. Eine Heuristik, die ich für besonders schädlich halte ist die Angst, dass uns die Dinge, die wir nicht verstehen, zum Nachteil gereichen, das naive Misstrauen.

Prominente Beispiele für diese Art des Denkens findet man in Diskussionen über Gentechnik oder Spekulation. So wird die Gentechnik häufig mit dem Argument angegriffen, dass man die Wirkung von gentechnischen Eingriffen prinzipiell nicht vorhersehen kann. Hier wird unterstellt, dass das, was Laien nicht durchschauen können, mit hohen Risiken verbunden sein muss. Deutlicher tritt das naive Misstrauen beim Thema Spekulation hervor. Der Vorwurf ist hier, dass Spekulation keine Werte erzeugt und der Spekulant folgerichtig am Rest der Wirtschaft schmarotz. Die Lücken in diesem Bild werden mit Mutmaßungen aufgefüllt. Dem Spekulanten werden Fähigkeiten zugeschrieben, die nicht im Bereich des Möglichen liegen. Etwa das er fähig sei dauerhaft enorme Gewinne zu generieren.

Das naive Misstrauen zeichnet sich dadurch aus, dass diejenigen die diese Heuristik verwenden, nicht daran interessiert sind, ihren Kenntnisstand in der Streitfrage zu verbessern. Der Grund  liegt zum Teil darin, dass man die eigenen Mutmaßungen mit Wissen verwechselt, teils glaubt man nicht mehr daran, dass objektives Wissen möglich ist. Der Wissenschaft wird unterstellt, dass sie gekauft sei. Aufgrund seines beschränkten Kenntnisstandes ist der Naiv-Misstrauische nicht in der Lage den Nutzen einer bestimmten Handlungsweise zu erfassen. Aus dem Umstand, dass ihm kein Nutzen bekannt ist, schließt er, dass sie tatsächlich keinen Nutzen stiftet.

Saatgutunternehmen wird oft vorgeworfen, dass gentechnisch veränderte Hybridsaat, die nicht zur Wiederaussaat geeignet ist, Kleinbauern benachteiligen würde. Die Naivität des Misstrauens gegenüber Gentechnik wird hier besonders deutlich. Wer so argumentiert glaubt besser einschätzen zu können, was den Kleinbauern nütz als diese selbst. Ein Bauer wird die Saat verwenden, von der er sich den höchsten Nutzen verspricht. Er wird sich das sehr genau überlegen, weil buchstäblich seine Existenz davon abhängt. Die Wahl eines Bauern ist also ein sehr guter Indikator dafür, was die geeignetste Saat ist. Somit belegt die weltweite Verbreitung der Gentechnik, dass sie den Landwirten Vorteile bringt.

Eine Handlungsweise die scheinbar keinen Nutzen stiftet, aber von der manche dennoch profitieren, weckt natürlich die Angst übervorteilt zu werden. Wenn es keinen Nutzen gibt, muss der Vorteil zu Lasten anderer gehen. Die Furcht vor dem Unverstandenen hat noch eine andere Quelle: Die Angst davor, dass das Unverstandenen die eigene Lebensweise überwältigt. Im Fall der Spekulation äußert sich die Angst in der Befürchtung, dass sie die Wirtschaft destabilisiert. Wahrscheinlich hat auch Homophobie hier seine Ursache.

Das naive Misstrauen ist ein Rückfall hinter die Aufklärung. Naives Misstrauen lebt von der Ansicht, dass es nicht möglich ist den Dingen auf den Grund zu gehen. Entweder es bleibt bei oberflächlichen Mutmaßungen stehen und ahnt nicht, dass es noch ein tieferes Wissen gibt oder es unterstellt, dass uns aufgrund von Standpunkt und Interessen der Zugang zur Objektivität versperrt ist. Es verharrt damit in der selbstverschuldeten Unmündigkeit. Es war der Anspruch der Aufklärung, dass die Gründe aufgrund deren etwas für wahr gehalten werden, durch jeden nachgeprüft werden können. Das naive Misstrauen verwirft, diesen Anspruch. Erkenntnis wird an Experten delegiert und deren Ergebnisse als willkürlich verworfen.

Dem naiven Misstrauen ist ein begründetest Vertrauen entgegenzusetzen, den Weg dahin zeigt die Aufklärung auf. Auch ein gebildeter Mensch kann nicht alle Streitfragen auf höchstem Niveau beurteilen. Bei der Meinungsbildung müssen wir zwangsläufig auf Heuristiken zurückgreifen. Daher lohnt es sich über diese besonders Intensiv zu reflektieren. Eine besser Heuristik als das naive Misstrauen ist etwa folgende: Wenn Menschen zur freiwilliger Interaktion bereit  sind, ist davon auszugehen, dass die Interaktion allen Beteiligten zum Nutzen gereicht, auch wenn dieser für uns schwer zu erkennen ist. Man kann diese Heuristik logisch erschließen. Andere haben einen besseren Einblick in ihre Lebensumstände und den Einflüssen, die darauf wirken. Ihren Entscheidungen ist also informierter als unsere Mutmaßung welche Entscheidung an ihrer Stelle richtig wäre. Das Vertrauen in diese Heuristik wächst, wenn sie sich empirisch bestätigt. Man kann dazu sein Wissen in bestimmten Bereichen vertiefen, um zu verstehen worin der Nutzen liegt der Außenstehenden verborgen bleibt.

 Um das naive Misstrauen zu überwinden ist noch eine zweite Heuristik nötig: Das Vertrauen in das, was uns Nutzen bringt. Die Angst vor dem Unverstandenen, ist oft die Angst davor, das zu verlieren was uns nutzt. Der Grund ist, dass wir das Nützliche oft für ein Produkt des Zufalls halten. Wer glaubt, dass Spekulanten die Preise hochtreiben können, glaubt dass die Preise eine rein willkürliche Übereinkunft sind. Wenn man die Einflussfaktoren begreift durch die ein Preis festgelegt wird, wird sehen, dass sich die Höhe eines Preises exakt durch diese bestimmt wird. Solch ein Wissen schafft Vertrauen. Die Zukunft ist nicht völlig unvorhersehbar, sondern verläuft im Rahmen dessen, was absehbar ist. Je besser wir unser Lebensumstände verstehen, umso besser können wir unterscheiden was wir fürchten müssen und welche Furcht unbegründet ist. Unterm Strich wird das Leben entspannter.

Ein Moralisches Dilemma?

November 12, 2012

Stellen wir uns folgende Situation vor: Wir haben ein Zusammentreffen von drei Personen. Person A besitzt eine Waffe. Person B besitzt Güter. Person C stirbt, wenn sie nicht ein Gut erhält, die B besitzt. Darüber das es moralisch geboten wäre, dass B C das Gut gibt müssen wir nicht streiten, aber was ist mit folgenden Fragen:

Hat A das Recht dazu, B zu zwingen C das Gut zu geben?

Ist es moralisch geboten das A so handelt?

Sollte sich B widersetzten, darf A B töten?

Hat B das Recht sich zu widersetzten?

Sollte sich B zu Wehr setzten und dabei A töten, war es Notwehr?

Bevor ich versuche meine abschließende Meinung zu formulieren, werde ich versuchen das Verhältnis zwischen den einzelnen Fragen zu klären. Wenn man A das Recht zubilligt Zwang gegenüber B auszuüben, macht es wenig Sinn B das Recht zuzusprechen, sich zu wehrzusetzen. Denn dann stünde der Zwang As, B zu einer Handlung zu zwingen, gegen Bs Zwang, dies A zu untersagen. Also Zwang gegen Zwang, das Recht des Stärkeren. Umgekehrt wenn man A dieses Recht nicht zubilligt, impliziert das bereits, dass wir B das Recht zusprechen, sich zu wehrzusetzen. Denn ohne das Recht Bs sich zu wehren, hat A de facto das Recht Zwang auszuüben. Die Antwort die wir auf Frage 1 geben, bestimmt also schon die Antwort auf Frage 4.

Auch Frage 4 und Frage 5 stehen in einem engen Zusammenhang. Die Prinzipen, nach denen in der orthodoxen Jura Notwehr angewendet werden darf, sind meines Erachtens überzeugend und auch in diesem Fall anzuwenden. Sollte man B das Recht zubilligen sich zu Wehr zu setzen, hat B zwar das relativ mildeste Mittel zu wählen, den Angriff sicher und endgültig abzustellen, muss sich aber nicht auf Risiken bei der Verteidigung einlassen oder die Flucht ergreifen. Also wäre es dann unter Umständen gerechtfertigt A zu töten.

Ähnlich verhalten sich Frage 1 und Frage 3. Wenn wir A das Recht zugestehen Zwang auszuüben, muss er auch das mildeste Mittel anwenden dürfen diesen sicher und endgültig durchzusetzen. Andernfalls hätten wir A de facto das Recht verweigert. Ist das mildeste Mittel B zu töten (z.B. weil B sich zu Wehr setzt), hat A das Recht dazu.

Schwieriger ist das Verhältnis zwischen Frage 1 und Frage 2. Wenn wir A das Recht verwehren Zwang auszuüben, kann der Zwang auch nicht moralisch geboten sein. Da für die meisten Menschen das Leben das höchste Gut darstellt, würden wir es wohl für geboten halten, Zwang einzusetzen, wenn das zulässig ist. Andererseits hat die Frage was moralisch geboten ist immer auch ein subjektives Element. Daher nehme ich an das es für Frage zwei keine abschließende Antwort gibt.

Wenden wir uns also Frage 1 zu. Eine naive Ansatzweise würde einfach eine Güterabwägung vornehmen. Weil das Leben das höchste Gut ist, wiegt es auch höher als die Freiheit vor Zwang. Daher ist es richtig das A Zwang gegen B ausübt. Aber einfach danach zu urteilen, was mehr Menschenleben rettet würde es letztlich erlauben, willkürlich Menschen zwecks Organentnahme zu töten, wenn damit mehrerer Menschenleben gerettet werden können. Dieses Verfahren würden die meisten wohl ablehnen, es zeigt also, dass eine einfache Güterarithmetik nicht funktioniert.

Meines Erachtens liegt Hauptgrund für die Ablehnung in der Ungerechtigkeit, die darin besteht ohne besonderen Grund manche zu töten, während andere davon kommen. Also eine Willkür vorliegt, die einen ohne jede Sicherheit zurücklässt. Ich denke das lässt sich verallgemeinern. Wenn Zwang überhaupt zulässig sein soll, muss er nach allgemeinen Regeln angewendet werden, so dass der Einzelne ihn antizipieren kann. Das spricht tendenziell dagegen, dass im Dilemmaszenario Zwang zulässig ist. Es lässt sich für einen Besitzer von Gütern nicht antizipieren, dass ausgerechnet er seine Güter abgeben soll. Das Argument ist aber noch nicht 100% überzeugend, weil man das Leben immer noch als schwerwiegender erachten kann als die Freiheit von Zwang und Willkür.

Es gibt einen wichtigen Einwand gegen die Entscheidung, das Leben höher zu gewichten, als die Freiheit vor Zwang. Welche Wirkung es hat Zwang anzuwenden, lässt sich nicht vorhersehen. Insbesondere dann nicht, wenn er nach allgemeinen Regeln angewendet wird und somit keine Möglichkeit zu einer Feinanpassung besteht. Im Szenario kann Zwang folgende Auswirkung haben: B entsteht durch die Herstellung des Guts Kosten. Wenn B sein Gut nicht kostendenkend verkaufen kann, wird er die Produktion einstellen, so dass unterm Strich alle schlechter gestellt sind. (A könnte B natürlich dazu zwingen trotz Defizit weiter zu produzieren. Das wäre in letzter Konsequenz aber nichts anderes als Sklaverei. Ich denke nicht dass das Leben schwerer wiegt, als die Freiheit über sein Leben selbst bestimmen zu dürfen, denn ohne diese Freiheit ist das Leben selbst stark entwertet.)

Dieses Problem tritt immer auf, wenn sich die Dilemmasituation regelmäßig wiederholt oder sowieso auf Dauer angelegt ist. Es ist eine Illusion zu glauben, dass die Anwendung von Zwang den Ausgang einer Situation eindeutig bestimmt. In einer Situation in der es um das Handeln Einzelner geht, kann man noch von Übersichtlichkeit ausgehen. Aber diese Übersichtlichkeit geht verloren, wenn wir uns mit Folgen von Regeln die allgemein gelten befassen. Aber gerade die Annahme, dass durch Zwang das Leben von C sicher gerettet werden kann, also keine Unübersichtlichkeit vorliegt, liegt der Abwägung von Leben und Freiheit zugrunde. Ohne genaue Einsicht in die Beschaffenheit der Welt lässt sich eine solche Güterabwägung also gar nicht vornehmen.

Es bleiben also zwei Möglichkeiten. Erstens man versucht die Regeln mit der Zeit immer weiter zu verbessern, damit sie der Beschaffenheit der Welt immer besser gerecht werden. Das ist aber mit dem Problem verbunden, dass die Regeln in Teilen immer ungerecht sein werden und immer ein Dissens darüber herrschen wird wie die Welt nun im Einzelnen beschaffen ist und folglich immer auch ein Dissens über die Regeln selbst. Oder Zweitens man erklärt Zwang unter allen Umständen für nicht gerechtfertigt.

Verlieren wir allzu viel wenn wir auf Zwang verzichten? Ich denke nicht. Um in Szenario zu bleiben: A kann nur dann Zwang gegen B ausüben, wenn das legitim ist, also dem Leben allgemein ein so hoher Wert zugemessen  wird, dass er auch die Sicherheit aussticht frei von Zwang zu sein. In so einer Situation ist es jedoch auch möglich Schutz für das Leben zu organisieren, ohne auf Zwang zurückgreifen zu müssen.

David Friedman über Bestrafung

Oktober 14, 2012

Letzte Woche bin ich auf einen sehr interessanten Artikel von David Friedman gestoßen (via Libertäre Gedanken). Friedman setzt sich darin mit dem Problem auseinander wie Rechtsübertretungen geahndet werden sollen. Dazu stellt er zunächst fest, dass das gegenwärtige System viel Raum für Effizienzsteigerungen lässt. Für Friedman ist eine Strafe dann effizient, wenn ihre Umsetzung weniger Kosten als andere Verursacht, aber Kriminelle im gleichen Maß vor Verbrechen abschreckt. Menschen ins Gefängnis zu stecken sei unnötig teuer, eine effizientere Möglichkeit sei es, die Todesstrafe auf alle Verbrechen anzuwenden. Bei Verbrechen, bei denen die Todesstrafe nicht gerechtfertigt erscheint, schlägt er vor die Todesstrafe nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit zu vollstrecken und den Delinquenten ansonsten laufen zu lassen. Das sieht zum Beispiel so aus, das ein Verbrecher, der 10 Jahre Haftbekäme mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/6 gehängt werden würde und mit 5/6 laufen gelassen wird. Desweiteren seien nach Friedman Strafzahlungen und Zwangsarbeit effektive Bestrafungsmethoden.

Obwohl es für Friedmans weitere Argumentation keine Rolle spielt muss ich ihm in einem Punkt wiedersprechen. Meines Erachtens ist es nicht möglich zwei Ungerechte Strafen so zu verknüpfen das eine gerechte herauskommt. Ein Räuber der 10 Jahre Gefängnis verdient hat erleidet eine massive Überbestrafung, wenn man in hängt und erfährt eine massive Unterbestrafung, wenn man ihn laufen lässt. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass man das Los über die Strafe entscheiden lässt. Denn in dem Fall ist das Los nur der Entscheidungsmechanismus, aber die Tatsache dass gelost wird ist nicht die Strafe selbst. Desweiteren glaube ich nicht das es möglich ist, so unterschiedliche Dinge wie Gefängnis- und Todesstrafe miteinander zu verrechnen, denn die Todesstrafe bedeutet mehr als nur den Verlust an Lebenszeit, den man durch das Gefängnis zu erleiden hätte.

Friedman macht seinen Vorschlag natürlich nicht, weil er ihn für das bessere System hält, sondern um eine bestimmte Tatsache zu demonstrieren. Er merkt daher selbst, an das so ein System kaum überzeugen kann und dem Gerechtigkeitsempfinden der meisten zuwiderläuft. Laut Friedman ist das Problem bei einem effektiven Strafsystem, dass es nicht nur keine Kosten verursacht, sondern manche Akteure können in so einem System das Humankapital oder sogar biologische Kapital der Delinquenten abschöpfen, ob sie nun schuldig sind oder nicht. Da das Rechtssystem nun aber nicht von Philosophen-Königen gleitet wird, sondern von Menschen die auf Anreize reagieren, wird ein effektives Bestrafungssystem selbst Kosten verursachen, indem  es die Wahrscheinlichkeit hochtreibt, dass man als Unschuldiger und für sehr geringe Vergehen hart bestraft wird. Unter einem Solchen System werden die Menschen also Maßnahmen ergreifen, die dazu dienen sich vor ungerechtfertigten oder überzogenen Strafen zu schützen. Diese Maßnahmen gehen nun selbst wieder auf Kosten der wirtschaftlichen Effektivität und der Lebensqualität. Daher ist es unterm Strich vorteilhafter, auf ein effektives Bestrafungssystem zu verzichten und es bei einem weniger effizienten zu belassen.

Ich finde Friedman hat mit seiner Argumentation einen sehr zentralen Punkt erfasst. Aus ihr geht zwanglos hervor, warum es in einem guten Justizsystem mindestens genauso wichtig ist Unschuldige vor Strafe zu verschonen, wie Schuldige zu bestrafen. Seine Argumentation ist unabhängig davon wie das Rechtssystem sonst ausgestallt ist. Ob es auf Tradition, Demokratischer Mehrheitsentscheidung oder Anarchokapitalistischen Rechtsagenturen beruht spielt keine Rolle; jedes dieser Systeme kann in die Friedmansche Effizienzfalle laufen. Dass es tatsächlich Situationen gibt, die nach dem Friedmanschen Schema verlaufen sieht man zum Beispiel an der deutschen Abmahnindustrie, in der die Anwälte von einem zu viel an Abmahnungen profitieren. Friedmans Argumentation zeigt also ein tatsächlich noch ungelöstes Problem auf.

Nutz Wettbewerb den Starken mehr als den Schwachen?

Januar 22, 2012

Der Artikel schereimkopf  bei den Freiheitsfabrikanten lässt etwas bei mir klingeln. Stefan Blankertz geht dort der Frage nach, ob Umverteilung wirklich das richtige Mittel ist gegen materielle Ungleichheit vorzugehen. Den Spielball den ich auffangen möchte ist jedoch seine Beobachtung, dass die Einkommensschere mit Kapitalismus assoziiert wird, obwohl das Gegenteil die Ursache für Ungleichheit bei dem Interventionismus zu suchen viel naheliegender ist.  Dennoch geht die landläufige Meinung dahin, dass mehr Wettbewerb die Reichen reicher und die Armen ärmer machen würde. Diese Meinung ist so weit verbreitet, dass sie kaum noch hinterfragt wird und es ist anzunehmen, dass sie massiven politischen Schaden verursacht hat. Im Grunde handelt es sich bei dieser Vorstellung um ein Ressentiment.

Dass Wettbewerb nicht den Privilegierten nutzt, sieht man leicht, wenn man überlegt was passiert, wenn ein Bereich der vom Wettbewerb abgeschirmt wurde, wieder in den freien Markt eingegliedert wird. Die naheliegende Entwicklung schein zu sein, dass diejenigen die Profitabel wirtschaften konnten auf Kosten schwächerer expandieren können. Das also die Schwächeren davor beschützt wurden niederkonkurriert zu werden. Zu beobachten ist jedoch etwas anderes, nämlich dass neue Anbieter in den Markt eintreten, die Preise sinken und obwohl die abgesetzten Mengen oft steigen, die Gewinne der zuvor hochprofitablen Unternehmen sinken. Bestes Beispiel für solche Umweltzungen ist die Liberalisierung des Telekommunikation-Marktes am Anfang dieses Jahrtausends.

Wer sind diese neuen Anbieter? Sind es Unternehmen die noch profitabler noch „stärker“ waren als die bestehenden Unternehmen? Sicher nicht denn viele dieser Unternehmen sind erst in der Liberalisierung neu entstanden. Außerdem warum sollte ein hochprofitables Unternehmen enorme Anstrengungen unternehmen um niedrigere Preise in einem neuen Markt anbieten zu können, also anfangen weniger profitabel zu arbeiten. Sich in einen neuen Markt hinein zu konkurrieren, macht nur dann Sinn, wenn man mangels Alternativen bereit ist geringere Renditen als die Unternehmen hinzunehmen, die sich den Markt bisher aufgeteilt haben. Mit anderen Worten es wurden die Starken von der Konkurrenz durch schwächere beschützt.

Diese Art von Protektion ist ein großes Thema des Ökonomen Mancur Olson. Er untersuchte warum manche Staaten dynamischer wachsen als andere und höhere Durchschnittseinkommen erreichen. Die Verantwortung dafür sah er vor allem bei Verteilungskoalitionen. Gruppen die sich organisieren, um Vorteile durch Protektion oder andere Interventionen zu erlangen. Je mehr Verteilungskoalition ein Staat ansammelt desto geringer fällt dort das Wachstum aus, und desto geringer ist die Fähigkeit der Wirtschaft sich auf neue Situationen einzustellen. Verteilungskoalitionen sind meines Erachtens die wichtigste Ursache der Regulierung. Dies zeigt sich z.B. darin, dass es niemanden zu stören scheint wenn Regulierungen ihr offizielles Ziel verfehlen.

Zu den sozialen Folgen der Verteilungskoalitionen schreibt Olson: „In Wirklichkeit werden viele, wenn nicht die meisten Umverteilungen durch ganz andere Motive [als egalitäre] ausgelöst, und die meisten von ihnen haben eher arbiträre als egalitäre Wirkungen auf die Einkommensverteilung – nicht selten werden Einkommen von Personen mit niedrigerem zu Personen mit höherem Einkommen umverteilt.“ Und etwas weiter: „Es gibt vermutlich größere Ungleichheit bei den Möglichkeiten, Verteilungskoalitionen zu schaffen, als bei den angeborenen produktiven Fähigkeiten der Menschen.“ (M. Olson, Aufstieg und Niedergang von Nationen, S.229 f.) Damit stellt Olson die Vorstellung, dass durch Interventionen Ungleichheit eingedämmt wird in Frage.

Die Frage wie Ungleichheit mit Interventionen oder andersherum mit wirtschaftlicher Freiheit zusammenhängt wurde auch empirisch untersucht. Eine Schwierigkeit bei solchen Untersuchungen ist das man unter wirtschaftlicher Freiheit ein Bündel verschiedener Indikatoren verstanden. Etwa der Anteil des Außenhandels oder ob es erlaubt ist Devisen zu halten. Gerald W. Scully konnte zum Beispiel zeigen, dass wirtschaftliche Freiheit langfristig zu mehr wirtschaftlicher Gleichheit führt (Scully, 2002). Allerdings konnte auch gezeigt werden, dass der Effekt dadurch überlagert wird, das hohe Transfereinkommen und hohe Besteuerung, die als negativ für die wirtschaftliche Freiheit gelten, die Ungleichheit senken. Einfache Test führen also oft zu keinem systematischen Zusammenhang von wirtschaftlicher Freiheit und Gleichheit. Wenn man die Unterschiedlichen Bestandteile der Wirtschaftlichen Freiheit untersucht kommt man zu dem Ergebnis, dass direkte staatliche Interventionen in die Wirtschaft die Ungleichheit besonders stark erhöhen. Das deckt sich mit den oben angeführten Überlegungen. Scully konnte fest stellen das der Einfluss der wirtschaftlichen Freiheit die Einkommen in den untersten beiden Fünftel erhöht und im obersten senkt.

Ein weites interessantes Ergebnis der Studie ist, dass unerwartete Inflation die Ungleichheit erhöht. Die orthodoxe Ökonomie kann diesen Umstand nicht erklären, da sie davon ausgeht, dass das Geld in erster Nehrung neutral ist, also keinen Einfluss auf die relativen Preise hat. Aus der Österreichischen Schule ergibt sich der Einfluss der Inflation ganz natürlich. Hier geht man davon aus, dass Inflation ungleichmäßig auf die Preise wirkt und einige Preise schneller steigen als Andere. Damit geht eine Verzerrung der Einkommen einher, die wie empirische Untersuchungen zeigen, die Ungleichheit erhöht.

Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass die landläufige Meinung, dass Wettbewerb die Ungleichheit erhöht und Interventionen sie senken, falsch ist. Das Gegenteil trifft zu.  Dass dennoch an dieser Meinung festgehalten wird, muss man historisch und psychologisch erklären.

 Literatur: Gerald W. Scully “Economic Freedom, Government Policy and the Trade-Off Between Equity and Economic Growth”. Springer Netherlands, 2002.

Haben geistiges Eigentum und physisches Eigentum gemeinsame Wurzeln?

Oktober 23, 2011

Es ist kein Geheimnis, dass die mit dem Internet großgewordene Generation ein anderes Rechtsverständnis gegenüber dem Geistigen Eigentum zeigt, als die älteren. File-Sharing und andere Methoden, um Inhalte auszutauschen erfreuen sich großer Beliebtheit und machen dabei auch vor den Grenzen des Gesetzgebers keinen Halt. Dabei scheinen die Beteiligten noch nicht einmal ein allzu großes Unrechtsbewusstsein entwickelten. Unter Konservativeren Zeitgenossen wird diese Entwicklung mit Sorge betrachtet. Ihnen gilt die Erosion des Respekts vor dem geistigen Eigentum als Niedergang des Respekts vor dem Eigentum allgemein. Doch ist das tatsächlich so oder sind geistiges und physisches Eigentum nicht vielmehr völlig unterschiedliche Dinge?

Ein oft gebrauchtes Argument für eine solche Verbindung ist, dass das Recht auf Eigentum der Leistung entspringt, die ein Einzelner erbracht hat. Ebenso, wie der Bauer ein Anspruch auf die Saat erhält, weil er für sie den Boden bestellt hat, habe ein Dichter ein Anrecht auf das Gedicht, das er erdachte. Es handelt sich also um ein Gerechtigkeitsargument. An diesem Argument ist einiges auszusetzen.

So entspricht es kaum mehr der Lebenswirklichkeit der meisten Menschen, die in der Regel keinen Landwirtschaftlichen Betrieb führen. (Relevant ist diese Betrachtung tatsächlich nur im Primärsektor) Ein Arbeitnehmer oder Selbständiger erhält einen Anspruch auf seinen Lohn, weil er mit seinen Arbeitgeber bzw. Kunden einen entsprechenden Vertrag abgeschlossen hat. Die Quelle des Eigentums sind hier also freiwillige Vereinbarungen. Aber welche freiwillige Vereinbarung habe ich mit einem Erfinder getroffen, dass er das Recht erhält mich an dem Nachbau seiner Erfindung zu hindern?

Ob eine Handlung als Leistung zählt muss sich daran zeigen, dass andere bereit sind für diese Leistung eine Gegenleistung zu erbringen oder ob der Handelnde selbst ein Nutzen daraus ziehen kann. Bestehen diese Voraussetzungen nicht, kann der Handelnde auch nicht erwarten für sein Handeln eine Abgeltung zu erhalten. Übertragen auf unseren Fall bedeutet das, dass das Gerechtigkeitsargument nicht greift, da dem Schöpfer eines Werks im Vornherein klar sein muss, was er als Gegenleistung für sein Schaffen erhalten kann und seine Leistung mit Erhalt des Vereinbarten Lohns abgegolten ist. Um die Gerechtigkeit einzuhalten ist es also unerheblich, ob geistiges Eigentum besteht oder nicht. Natürlich lässt sich an der Stelle einwenden, ob es in der Summe mehr Nutzen schafft, wenn man Geistiges Eigentum definiert, nur ist das kein Gerechtigkeitsargument mehr. Mit dem Nutzargument werde ich in einem späteren Artikel auseinandersetzten.

Das Gerechtigkeitsargument geht von der Annahme aus, dass der Eigentumsbegriff so geschaffen wurde, dass Leistungen in den gesellschaftlichen Interaktionen angemessen berücksichtigt werden. Wir haben jedoch gesehen, dass der Ursprung des Eigentums nicht die Leistung ist, die jemand erbringt, sondern vielmehr der Eigentumsbegriff bestimmt, was als Leistung gelten kann. (Genauer: der Eigentumsbegriff stellt den Rahmen für die Integrationen, die bestimmen was Leistung ist.)Es stellt sich also die Frage, wodurch das Eigentum begründet wird.

Weiter oben polemisierte ich gegen das Geistige Eigentum mit der Frage: „welche freiwillige Vereinbarung habe ich mit einem Erfinder getroffen, dass er das Recht erhält mich an dem Nachbau seiner Erfindung zu hindern?“ Kommunisten verschärfen, diese Argumentation noch indem sie fragen: „welche freiwillige Vereinbarung habe ich mit einem Eigentümer getroffen, dass er das Recht erhält mich an der Nutzung der Gegenstände die ihn gehören zu hindern?“ Wenn geistiges und physisches Eigentum tatsächlich den gleichen Ursprung hätten, müsste man das Prinzip, das hinter der jeweiligen Frage steht, auf die gleiche Weise behandeln.

Versuchen wir die Prinzipien mit Hilfe eines verallgemeinerter kategorischen Imperatives zu beurteilen: Ist es denkbar, dass das den Fragen zugrunde liegende Prinzip allgemeine Geltung haben? Das hinter der ersten Frage stehende Prinzip ist, dass das Recht eine Erfindung zu nutzen nur aufgrund einer freiwilligen Vereinbarung eingeschränkt werden kann. Dies ist sicherlich der Fall, eine Idee anzuwenden beansprucht keine Ressourcen, die an anderer Stelle fehlen würden. Anderes das Prinzip hinter der zweiten Frage: Die Nutzung physischer Gegenstände darf nur aufgrund von freiwilligen Vereinbarung eingeschränkt werden. Dieses Prinzip kann unmöglich allgemein gelten, da es rein logisch nicht denkbar ist, dass zwei Personen gleichzeitig die physische Kontrolle über den gleichen Gegenstand ausüben. Ebenfalls ist es unmöglich gleichzeitig den gleichen Gegenstand zur Nutzung bereitzuhalten ohne eine Vereinbarung über mögliche Konfliktfälle zu treffen.

Wenn man nun fordert, dass der Umgang miteinander durch allgemeine Prinzipien geregelt sein soll, muss zu diesen Prinzipien eine Norm über physisches Eigentum gehören. Ähnliches lässt sich über geistiges Eigentum nicht sagen. Damit ist klar, dass die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz des physischen Eigentums Normen nachbilden, die sich auch durch freiwillige Interaktionen herausbilden würden, während die Bestimmungen zum Schutz des geistigen Eigentums eine reine juristische Fiktion darstellen. Aus diesen Gründen ist es meines Erachtens absurd zu erwarten, dass ein „Raubmordkopierer“ plündernd durch die Lande ziehen wird. Die Achtung des Eigentums wird durch die Missachtung des geistigen Eigentums nicht tangiert, da es sich um grundsätzlich unterschiedliche Dinge handelt.

Wikileaks und die Konflikte von Morgen

Dezember 18, 2010

Es ist wohl keine Übertreibung zu sagen, dass in die Ereignisse der vergangenen Wochen die Zukunft ihre Schatten vorauswarf. Plattformen wie Wikileaks und vor allem der Umgang mit ihnen werden das Zeitgeschehen prägen, wie wenige Begebenheiten zuvor. Wir werden Zeuge davon, wie sich die gängigen Methoden gesellschaftliche Konflikte zu regulieren auflösen. Im alten Paradigma wurden Konflikte zentral gelöst. Der Staat war die Instanz, die als Ordnung setzende Macht, entschied wie mit Streitfragen umzugehen sei. Diese Funktion wird durch drei Entwicklungen Infrage gestellt, die sich in den vergangenen Ereignissen herauskristallisieren. Das sind die wachsende Komplexität der Gesellschaft, die nicht-Territorialität des Internets und die durch das Internet entstandene Möglichkeit der Viele-zu-Viele-Kommunikation.

Man konnte schon an der Vergangenheit sehen, dass die staatlich-zentrale Gesetzgebung nicht mehr mit der wachsenden Komplexität der Gesellschaft mithält. Eine erfolgreiche zentrale Gesetzgebung setzt voraus, dass der Staat in der Lage ist die Kompetenzen zu mobilisieren, die nötig sind, um in einer Streitfrage eine zufriedenstellende Lösung zu finden. Der Punkt an dem sich die Parlamentarier selbst die nötigen Kompetenzen aneignen konnten, ist schon längst überschritten. Das erforderliche Detailwissen ist zu umfangreich. Davon zeugen die wachsende Spezialisierung der Abgeordneten und die Kompetenzverlagerung auf externe Berater und Kommissionen. Schon dieses Vorgehen war problematisch, weil es den Gesetzgebungsprozess durch Lobbygruppen beeinflussbar gemacht hat.

Dass das inzwischen nicht mehr ausreichend ist sieht man beispielsweise an der Novelle des Jugendmedienstaatsschutzvertrags. Hier griff die Politik offenbar auf Berater aus der Wirtschaft genauer den Produzenten sogenannter jugendgefährdender Inhalte zurück. Diese schafften es auch einen Vorschlag vorzulegen, der einer bestimmten Interessensabwägung gerecht wird. Der zwischen den Medien, die sogenannter jugendgefährdender Inhalte verbreiten möchten und den Eltern, die ebendiese Inhalte von ihren Kindern verbergen wollen. Der Vorschlag ließ jedoch die Anliegen von Gruppen außeracht, die nicht an der Beratung beteiligt waren, insbesondere derjenigen die auf privater Basis Inhalte ins Netz stellen. So kam es, dass fast ein Vorschlag umgesetzt wurde, der den einfachen Blogger mit erheblichen Risiken belastet hätte.

Der Vorgang zeigt, dass es der Politik nicht mehr gelingt die wesentlichen Interessenskonflikte, die sich aus einer Neuregelung ergeben, zu identifizieren und daher notwendigerweise Regeln beschließt, die massiv in die berechtigten Interessen bestimmter Gruppen eingreift. Je komplexer die Gesellschaft wird, desto komplexer werden die Konflikte und desto schlechter gelingt Politik. Wir haben es hier mit dem Problem des verteilten Wissens zu tun. Ähnlich wie ökonomische Probleme nicht durch zentrale Planung gelöst werden können, da das erforderliche Wissen über alle Wirtschaftssubjekte verteilt ist, können Interessenskonflikte nicht zentral gelöst werden. Der Ausweg besteht darin, den Anspruch, diese Probleme zentral zu verwalten, aufzugeben und stärker darauf zu vertrauen, dass sich durch dezentrale Vermittlung spontan tragfähige Regeln herausbilden.

Die zweite Entwicklung, mit der wir uns auseinandersetzen müssen, ist der Umstand, dass das Territorialprinzip nicht auf das Internet angewendet werden kann. In der offline-Welt wird ein Streitfall nach den Gesetzen des Staates entschieden, auf dessen Territorium er aufgetreten ist. Im Internet kann man nicht ohne weiteres entscheiden, wo ein Streitfall auftritt. Der Status Quo ist, dass auf jeden Inhalt, der im Netz steht, die Gesetze jedes Staates angewendet werden können, in denen er verfügbar ist. Es ist möglich, dass einem Brasilianer, der auf Servern in den USA rechtradikale Propaganda betreibt, in Deutschland der Prozess gemacht wird. Auf einem anderen Blatt steht, ob ein Staat sein Recht auch international durchsetzen kann. Jemand, der sich durch seine Veröffentlichung im Internet strafbar gemacht hat, kann einer Strafe entgehen indem er die Staaten meidet, in denen er verfolgt wird. Die Folge ist Staaten das Mittel der Strafverfolgung nicht mehr zur Verfügung steht, um unliebsame Inhalte aus seinem Territorium fern zu halten.

Der Kampf gegen Inhalte aus dem Internet wird also mit unorthodoxen Methoden geführt. Ein Beispiel wie so ein Kampf aussehen kann bietet uns Wikileaks. Hier sehen wir, dass nicht mehr allein bei den Urhebern der unerwünschten Inhalte angesetzt wird, sondern zunehmend die Ressourcen angegriffen werden, die dazu dienen die Inhalte zu verbreiten. Im Fall von Wikileaks waren das zum einen die Serverkapazitäten, die durch DoS-Attacken und der Verweigerung von Dienstleistern, eingeschränkt wurden, zum anderen die Finanzströme. Die Attacken auf Wikileaks konnten zum Teil durch eine Solidarisierungswelle abgewehrt werden. Es wurde Druck auf Unternehmen ausgeübt, ihre Dienste weiterhin auch Wikileaks anzubieten und es wurden Mirrors für die Wikileaks eingerichtet.

An den Kämpfen um Wikileaks sehen wir, das sich die Austragung der Konflikte von staatlichen Institutionen auf die Zivilgesellschaft zurück verlagert. Der Kampf darum, welche Inhalte im Netz stehen können, wird nicht mehr vor Gericht ausgetragen, er entscheidet sich dadurch welche Seite mehr Anhänger mobilisieren kann. Von Hayek stammte die Deutung, dass die Demokratie das Ergebnis eines Bürgerkriegs vorwegnimmt, da die Seite die sich im Parlament durchsetzt auch die sei, die sich in einer gewaltsamen Auseinandersetzung durchsetzen würde. Da die Regelsetzung der Parlamente nicht mehr greift, kehren im Internet bürgerkriegsähnliche Verhältnisse wieder. Das muss nicht das letzte Wort sein. Es ist denkbar, das sich aus den bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen eine Ordnung herausbildet durch die Konflikte dezentral reguliert werden können. Eine Reihe ungeschriebener Gesetze durch die die Anwendung destruktiver Methoden sanktioniert wird.

Zuletzt wenden wir uns der Möglichkeit der Viele-zu-Viele-Kommunikation zu. Durch das Internet ist es dem Einzelnen möglich geworden mit überschaubarem Aufwand ein Massenpublikum zu erreichen. Nur wenigen gelingt das tatsächlich, aber die Möglichkeit ist prinzipiell da. Damit verändert sich auch das Verhalten der Konsumenten von Information. Griff er in der Vergangenheit auf einige wenige Informationsquellen mit hohem Bekanntheitsgrad zurück, stehen ihm heute zusätzlich Quellen mit mittlerem Bekanntheitsgrad zur Verfügung. Die Funktion der alten Medien den gesellschaftlichen Diskurs zu fokussieren geht damit verloren. Neben dem Hauptdiskurs werden zahlreiche Nischen- und Nebendiskurse geführt. Nachrichten und Ideen die früher aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrängt werden konnten, können heute ungehindert verbreitet werden. Als Beispiel sei der Maskulismus genannt, der sich ohne Internet nicht hätte entwickeln können.

Durch das Internet besteht also die Möglichkeit, dass sich auch die Diskursführung dezentralisiert. Der einzelne rezeptiert nicht mehr nur den Hauptdiskurs sondern konzentriert sich auf die Diskussionen, die für ihn tatsächlich relevant sind und kann prinzpiell auch zu ihnen beitragen. Ebenso verändert sich die journalistische Sorgfalt, konnten die Medien früher auf ihrer Autorität vertrauen, wird im Internet erwartet, dass sich die Hauptaussagen durch Verlinken der Hauptquellen auch belegen lassen.

Wir haben also gesehen, dass wegen verschiedenen Entwicklungen, die sich vor allem in Internet abspielen, sich die Konfliktregulierung von staatlich-zentraler Ebene auf die zivilgesellschaftlich-dezentrale Ebene verlagert. Das betrifft sowohl, die Art wie Lösungen von Konflikten gefunden werden als auch wie diese durchgesetzt werden. Viele werden darin ein Bedrohung sehen, angetrieben von der Angst die Anarchie des Internets wird zu einer Anomie führen. Aber vielmehr besteht die Hoffnung, dass sich im Internet die Ordnungsstrukturen herausbilden, die erforderlich sind, um die Konflikte einer komplexer werdenden Welt zu bewältigen. Wer weiß vielleicht werden diese Ordnungsstrukturen, sollten sie sich als erfolgreich erweisen, als Vorbild für die Neugestaltung der Offline-Welt dienen.