In einer Rede zum bayrischen Landestreffen der libertären Plattform hat Gérard Bökenkamp eine zentrale Frage der libertären Weltanschauung angesprochen. Die Frage, ob es sinnvoll sein kann, sich in der Politik zu engagieren oder ob man mit seinem Handeln dann nicht genau den Prinzipien widerspricht, die man zu fördern beabsichtigt. Seine Lösung bestand darin die Prinzipien des Libertarismus einem Idealbereich zuzuordnen, aus dem sie in der realen Welt nicht unmittelbar umgesetzt werden können. Für die Praktischen Konsequenzen dieser Überlegung kann ich mich durchaus erwärmen, aber die Konzepte auf den sie ruhen steht in Widerspruch zur Moral, wie ich sie denke. Bökenkamp auf dieser Ebene zu widersprechen ist ein Wagnis, denn die Konzepte, auf die er sich beruft, stehen in absoluten Einklang mit der neuzeitlichen Geistesgeschichte. Ich will es dennoch versuchen.
Seit Hume wird in der Philosophie streng das Seien, also die Beschreibung der Welt, vom Sollen, den moralischen Urteilen, getrennt. Wie das eine beschaffen ist, kann keine Auswirkungen auf die Beschaffenheit des anderen haben. Begründet hat Hume diese Barriere damit, dass um auf einen Satz zu schließen der „soll“ enthält, ein „soll“ in mindestens einer der Prämissen enthalten sein muss. Eine Schlussregel die ein „ist“ in ein „soll“ umformt gibt es nicht. Mit diesem Hintergrund ist es plausibel idealen ethischen Werten die reale Welt und ihre Gesetzte gegenüberzustellen.
So weit muss ich mit der Tradition mitgehen. Dass es eine Wirkung von unserem Erfahrungsschatz (Seien) auf die moralischen Überzeugungen (Sollen) gibt, wird jedoch offensichtlich, wenn wir nicht von einem abstrakten Ich ausgehen, das auf das reine Denken beschränkt ist, sondern von lebendigen Menschen, die eine Entwicklung durchmachen. Die moralischen Überzeugungen eines Kindes sind andere als die eines Jugendlichen und dessen Überzeugungen sind wieder andere als die eines Erwachsenen.
Die Hintertür durch die das Sein in das Sollen eingeschmuggelt werden kann ist der Wille, um einen Moment bei Humes formal-logischen Überlegungen zu bleiben. Jedem Sollen liegt ein Willen zugrunde. Der Wille der Eltern, dem das Kind ausgeliefert ist, ist für das Kind das zu Befolgende. Verantwortung ergibt sich aus der gewollten Identifikation mit einer Sache. Im kategorischen Imperativ ist der Schluss vom Wollen aufs Sollen besonders transparent: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Daraus folgt, dass wenn sich das wünschenswerte ändert, sich auch die moralischen Überzeugungen ändern können.
Die ethischen Ideale und die reale Welt liegen in der so gewonnenen Perspektive nicht nebeneinander, vielmehr müssen sich auch moralische Kriterien dem Test an der Realität stellen. Nahliegende Fragen die sich an moralische Kriterien richten, sind ob sie in der Praxis konsistent sind oder sie Annahmen enthalten, die sich nicht aufrechterhalten lassen. Die Brisanz solcher Fragen liegt darin, dass unsere Handlungsfähigkeit von der Konsistenz unserer Handlungen abhängt. Man kann einen Realitätstest für moralische Kriterien auch so formulieren: Können sie zur eigenen Handlungsfähigkeit beitragen oder führen sie in Dilemmata, die dazu zwingen die moralischen Kriterien weiter auszudifferenzieren.
In einer Moral die sich auf die dargelegte Weise versteht gibt es keinen Widerspruch zwischen Verantwortungs- und Gesinnungsethik. Ziehen Moralvorstellung Konsequenzen nach sich, die man nicht bereit ist in Kauf zu nehmen, ist das ein Anlass die Moralvorstellungen zu überdenken. Für das Dilemma, ob sich ein Anarchokapitalist an der Politik beteiligen soll, bedeutet das, dass man sich überlegen muss, ob durch die Beteiligung das NAP gefördert wird oder geschwächt. Zu keinem anderen Schluss ist auch Bökenkamp gekommen. Viel gravierender ist die Frage ob der Staat notwendig ist, denn dann ist der Anarchokapitalismus mit der hier skizierten Metamoral nicht vereinbar.
Schlagwörter: Humes Gesetz, moralische Entwicklung, Rothbard
November 19, 2009 um 4:54 pm
Können wir den Blogbeitrag als Gastbeitrag für den Blog des Liberalen Institut http://www.freiheitdenken.org verwenden? Gerne auch mit Verlinkung zu Ihrem Blog. Vielleicht könnten Sie mir eine mail senden, wenn Sie damit einverstanden sind. Darüber würde ich mich sehr freuen!
Mit besten Grüßen
Gérard Bökenkamp
Gerard.Boekenkamp@freiheit.org
November 23, 2009 um 11:18 am
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