Durch die Kritik der Französischen Finanzministerin Christine Lagarde, dass die Exportüberschüsse aus Deutschland kein nachhaltiges Modell seien, fühlen sich viele Linke bestätigt. Sie brachte die hohe Wettbewerbsfähigkeit ausdrücklich mit niedrigen Lohnstückkosten in Verbindung. Für Linke war das natürlich ein gefundenes Fressen. Endlich kann man aus Solidarität mit den europäischen Nachbarn hohe Löhne einfordern. Eine Frage bleibt dabei jedoch kaum beantwortet: Wie kam es eigentlich dazu, dass die Lohnentwicklung in Deutschland hinter den in anderen europäischen Staaten zurückblieb?
Linke erklären solche Entwicklungen in der Regel durch politische Auseinandersetzungen und gehen davon aus, dass durch eine geeignete Politik auch stärker steigende Löhne möglich wären. Hält man die Entwicklung der Löhne für eine Folge anderer wirtschaftlicher Begebenheiten, wird man der Politik einen solchen Einfluss nicht zutrauen. Im Gegenteil, wenn die Entwicklung der Löhne handfeste Ursachen hat, wird der Versuch politisch genehme Löhne durchzusetzen, nur dann gelingen, wenn man einige Menschen in die Arbeitslosigkeit abdrängt. In diesem Artikel werde ich mich mit einem Aspekt auseinandersetzen, der die hohen Exporte aus Deutschland sinnvoll erscheinen lässt.

Quelle: Jonas Dovern, Nils Jannsen und Joachim Scheide: "Die Bedeutung monetärer Größen für die deutsche Wachstumsschwäche 1995–2005" Kiel Working Paper 1492, March 2009.
Die Rede ist von der Zinskonvergenz. Wie den meisten wahrscheinlich bekannt ist, waren die Zinsen in Deutschland niedriger als in anderen Ländern, vor allem niedriger als in den Südeuropäischen Ländern. (Siehe Abbildung). Ein Grund dafür war das Abwertungsrisiko der südeuropäischen Währungen, das mit der Euroeinführung weggefallen ist. Mit der Euroeinführung haben sich die Zinsen in Europa angeglichen. Für die meisten Euroländer außer Deutschland führte das zu Zinssenkungen. Wenn man davon ausgeht, dass der Zins die Funktion hat Ersparnis und Investition auszugleichen, dann sind Zinssenkung dann gerechtfertigt, wenn in einem Wirtschaftsraum mehr Ersparnis zur Verfügung steht. Die Zinssenkung würde dann dafür sorgen, dass sich mehr Investitionen rentieren, die Menge an Investitionen also zunimmt und so die erhöhte Ersparnis ausgeglichen werden kann.
In unserem Wirtschaftsystem wird der Zins jedoch nicht durch Marktkräfte festgelegt, sondern durch Planungsbehörden (sprich die EZB). Die Folge ist, dass ein Ungleichgewicht von Ersparnis und Investition nicht durch eine Anpassung der Zinsen behoben wird, sondern durch Änderungen der Geldmenge. Daher kann die Investition kurzfristig die Ersparnis übersteigen, allerdings zu dem Preis, dass nicht alle Investition zu Ende geführt werden können und eine Konjunkturkrise droht. (Das ist kurz zusammengefasst die monetäre Überinvestitionstheorie der Österreichischen Schule.)
Es stellt sich also die Frage welcher Natur, die Zinssenkung durch die Euroeinführung waren. Standen ihnen reale Ersparnisse gegenüber oder war es nur ein Artefakt, hervorgerufen durch eine Erhöhung der Geldmenge? Ein Indiz dafür, dass es sich um ein Artefakt handelt liefern die Inflationsraten. Nach der Euroeinführung war sie in den Südeuropäischen Ländern durchgehend höher als in Deutschland (siehe zweite Graphik). Da Inflation auf eine Ausweitung der Geldmenge folgt, spricht die höhere Inflation dafür, dass die Zinssenkung durch eine solche zustande kam. Wer die Wirtschaftsnachrichten verfolgt hat wird in einigen Ländern der Eurozone die Merkmale einer monetären Überinvestition festgestellt haben, etwa die Immobilienblase in Spanien.
Andererseits kann ein Wirtschaftsraum, was an eigener Ersparnis nicht vorhanden, ist importieren. Hier kommen die Exporte aus Deutschland ins Spiel. Bei ausgeglichen Wechselkursen entspricht ein Export von Gütern und Dienstleistungen immer auch ein Export von Kapital (sprich Ersparnis). In einem Einheitlichen Währungsraum wäre auch denkbar, dass sich die Geldmenge zu der Exportierenden Nation hin verschiebt, aber genau das ist nicht der Fall, wie die niedrige Inflation in Deutschland zeigt. Die Exporte aus Deutschland bringen Ersparnis und Investition also wieder näher ans Geleichgewicht und verhindern oder mildern so zukünftige Konjunkturelle Krisen.
Die Vorrausetzung für die Exporte aus Deutschland war jedoch, dass sich die Preise und Gehälter langsamer steigen als in der restlichen Eurozone, der Wirtschaftsraum in Deutschland also real abwertet. Genau diese Voraussetzungen wurden dadurch geschaffen, dass die Inflation innerhalb von Deutschland, der in der übrigen Eurozone hinterherhinkt. Das verminderte Wachstum der Geldmenge hatte einen dämpfenden Effekt auf die Wirtschaftsentwicklung, sodass der Effekt sich nicht nur in den nominalen Preisen und Gehältern wiederspiegelt, sondern auch im Wachstum („kranker Mann Europas“) und in den Reallöhnen.
Wenn wir diese Zusammenhänge im Hinterkopf behalten stellt sich die Situation im Rückblick folgendermaßen dar: Wegen der Euroeinführung sinken die Zinsen im Euroraum auf das Niveau der Zinsen in Deutschland. Dadurch geraten in einigen Ländern der Eurozone Ersparnis und Investition aus dem Gleichgewicht. Die Lücke wird geschlossen, indem die Geldmenge stärker wächst. Da die Geldmenge in Deutschland vergleichbar langsam wächst, wertet der Wirtschaftsraum Deutschland gegenüber dem Rest der Eurozone Real ab und schafft so die Grundlage für hohe Exporte, die die Lücke zwischen Ersparnis und Investition teilweise wieder schließt. Das erscheint mir dann doch plausibler, als die „neoliberale“ Politik für die Entwicklung verantwortlich zu machen.
Vergleiche auch folgendes Paper.
Schlagwörter: Eurozone, Exportwunder, monetäre Überinvestition
März 30, 2010 um 10:34 am
„Genau diese Voraussetzungen wurden dadurch geschaffen, dass die Inflation innerhalb von Deutschland, der in der übrigen Eurozone hinterherhinkt.“
Aber warum hinkt die Inflation hinterher? Das ist doch die interessante Frage. Sie hinkt hinterher, weil die Nachfrage nicht größer ist als das Angebot. Dies liegt einfach gesagt daran, dass viel gespart wird und die Löhne nicht gestiegen sind. Steigen die Löhne steigen mittelfristig die Preise. Entweder, weil die Kosten zu hoch werden, oder weil die Nachfrage steigt und erst einmal nicht befriedigt werden kann. Das heißt, dass man die Lohnpolitik nicht so einfach ausklammern kann. Vor allem, wenn in Deutschland Rente und Arbeitseinkommen Netto in den letzten Jahren immer wieder stagniert oder gesunken sind. Brutto sind die Arbeitseinkommen sogar letztes Jahr gesunken. Die Produktivität hat aber zugenommen. Wohin also mit den Produkten, wenn der Binnenmarkt (mit Statistiken belegt) zu schwach ist sie zu konsumieren? Es bleibt also der Export. Nun kommt aber das nächste Problem. Die deutschen Produkte unterbieten sogar die Preise der Niedriglohnländer. Die haben dann eigentlich nur die Möglichkeit ihre Löhne zu senken, um die Importe zu senken und die Exporte zu steigern. Dies führt dann aber zu niedrigeren Exporten in Deutschland, woraufhin wieder die Löhne gesenkt werden. Ein Preiskampf nach unten wird angefacht. Wem nützt das?
März 30, 2010 um 12:23 pm
„Bei ausgeglichen Wechselkursen entspricht ein Export von Gütern und Dienstleistungen immer auch ein Export von Kapital (sprich Ersparnis). “
Das halte ich für eine fragwürdige Aussage. Nicht jedes exportierte Gut ist Kapitalgut, außerdem muss man doch die Gegenleistung, den Kaufpreis berücksichtigen, der die Ersparnisse erhöhen kann.
März 31, 2010 um 12:28 am
@chriwi: Warum die Inflation hinterher hinkt, habe ich versucht im Artikel zu erklären. Die Zinskonvergenz erfordert, dass die Geldmenge in Resteuroland schneller steigt als in Deutschland.
Der Versuch die niedrige Inflation durch eine Nachfragelücke zu erklären geht nur kurzfristig auf. Langfristig betrachtet bestimmt die Geldmenge die Inflation. Der Zeitraum in dem die Inflation vom Resteuroland abweicht hat zulange angehalten, als dass sich das über eine Nachfragelücke erklären ließe. Die Entwicklung der Nominallöhne ist auch nur die halbe Geschichte, es kommt auf die Entwicklung der Reallöhne an, nur die ist in der Lage die Nachfrage zu beeinflussen. D.h. es kann eine Nachfragelücke auch bei steigenden Preisen bestehen bleiben oder die Löhne können steigen und die Nachfragelücke sich schließen ohne dass Inflation entsteht. Mit der Nachfrage allein kannst du also nichts erklären.
Du kannst die Exporte nicht auf eine zu niedrige Binnennachfrage zurückführen. Denn es ist eine Tautologie zu sagen, dass wenn es Exporte gibt wird mehr produziert als konsumiert wird, denn das was mehr produziert wird, ist gerade der Export. Du führst also den Export auf den Export zurück.
Und zum Preiskampf die gleiche Situation hast du auch auf den inländischen Märkten, trotzdem gibt es keine Deflation.
@Dirk F: Die Aussage ist keineswegs fragwürdig, sondern die Folge der Bilanzierungsregeln. Wenn ein Euronese einem Polen etwas verkauft, benötigt der Pole Euro, die bekommt er nur, wenn ein anderer Pole Euro erwirbt und weiterreichen kann. Die erhält der zweite wenn er selbst etwas nach Euroland exportiert, aber dann wäre die Leistungsbilanz ausgeglichen, oder wenn ein Euronese Finanzwerte in Polen kauft. Der Wikiartikel zum Thema ist recht gut.
Das exportierte Gut muss auch kein Kapitalgut sein, man kann auch ein Verbrauchsgut exportieren und im Empfängerland die Produktion des Verbrauchsgut durch die eines Kapitalguts ersetzten. Ich kann mir vorstellen worauf du hinaus willst, es ist nicht sicher gestellt, dass das exportierte Kapital auch produktiv verwendet wird oder es sich nicht eher um ein Konsumentenkredit handelt. Aber so, wie ich die Hayeksche Konjunkturtheorie verstanden habe, kann sogar das einen Überinvestitionscrash verhindern.
Das mit der Gegenleitung habe ich nicht verstanden.
März 31, 2010 um 3:33 pm
„Die Aussage ist keineswegs fragwürdig, sondern die Folge der Bilanzierungsregeln.“
Ich glaube nicht, dass Bilanzierungsregeln entscheiden, ob ein Gut Kapital ist.
Wo hat Hayek etwas von einem „Überinvestitionscrash“ geschrieben?
April 2, 2010 um 12:19 am
Naja die sinnvolle Bilanzierungsregeln sollten schon so gewählt werden, dass nur das bilanziert wird, was Kapital ist. Gut in der BWL würde man unter Kapital noch das Umlaufvermögen fassen, aber das braucht uns nicht zu stören.
In Preise und Produktion (1931), natürlich mit anderer Wortwahl.