Der Kindergarten strukturelle Gewalt

Nach den Morden in Athen frage ich mich immer wieder, warum Menschen, die vorgeblich für Solidarität eintreten, so enthemmt sein können, dass sie den Tod Unbeteiligter leichtfertig in Kauf nehmen. Auch diejenigen des linken Spektrums von den man erwarten kann die Morde an sich abzulehnen, scheinen sich mehr sorgen darum zu machen, dass er politische Gegner die Ereignisse instrumentalisieren könne, als das sie an einer Reflektion über sie bereit wären. (Siehe z.B. Indimedia.) Meines Erachtens spielt bei der Legitimation solcher Taten das Konstrukt strukturelle Gewalt eine entscheidende Rolle.

Linke bezeichnen etwas als strukturell, wenn es eigentlich nicht existiert, sondern erst durch intellektuelle  Taschenspielertricks konstruiert werden muss. Das meine ich nur halb so polemisch wie es klingt. Neben der strukturellen Gewalt, ist der strukturelle Antisemitismus eine nennenswerte Verwendung dieser Technik. Die Idee der strukturellen Gewalt geht auf Johan Galtung zurück, der versteht darunter die „vermeidbare Beeinträchtigung grundlegender menschlicher Bedürfnisse  oder, allgemeiner ausgedrückt, des Lebens, die den realen Grad der Bedürfnisbefriedigung unter das herabsetzt, was potentiell möglich ist“ (zitiert nach Wikipedia). Eine solche Gewalt geht natürlich nicht von einzelnen Verantwortlichen aus, vielmehr seien es die gesellschaftlichen Systeme selbst aus der die strukturelle Gewalt hervorgehe. Dennoch gilt strukturelle Gewalt unter ihren Verfechtern als notwehrfähig.

Zwei Punkte halte ich für bemerkenswert. Einmal die Gefahr die von dem Konzept ausgeht, dann was es über die mentale Verfassung seiner Verfechter aussagt. Die Gefahr des Konzepts liegt auf der Hand: Es ist geeignet den Gewaltbegriff zu verwischen und echter Gewalt Vorschub zu leisten. Mehr noch das was die potentiell mögliche Bedürfnisbefriedigung ist und wie sie zu erreichen ist, ist gerade einer der zentralen Gegenstände der politischen Auseinandersetzung. Wenn man glaubt dass man bestimmen kann, was strukturelle Gewalt ist, muss man davon ausgehen, dass die eigenen Ansichten über die potentielle Bedürfnisbefriedigung mit Gewissheit richtig sind. Wer anderer Ansicht ist, vertritt nicht einfach nur eine andere Meinung, sondern trägt zur strukturellen Gewalt bei und daher ist gegen einen solchen  „Notwehr“ legitim. Gewalt wird so wieder zu Mittel des politischen Kampfes.

Um den zweiten Punkt zu erklären muss ich etwas weiter ausholen. Oberflächlich betrachtet haben die Befürworter der strukturellen Gewalt ein starkes Argument auf ihrer Seite. Das ist, dass insbesondere die dauerhafte Beeinträchtigung menschlicher Bedürfnisse zum Beispiel Diskriminierung oder latente Bedrohung einen Leidensdruck auslösen kann, der den einer tatsächlichen Gewalterfahrung übersteigt. Daraus könnte man dann ableiten, dass die Beeinträchtigung menschlicher Bedürfnisse eine ähnliche Qualität hat wie Gewalt. Die Schwäche des Arguments liegt darin, dass das Recht Gewaltverzicht einzufordern nicht aus dem Leidensdruck abgeleitet werden kann, sondern daraus das gewalttätiges Handeln nicht universalisierbar ist. Der Grund ist dass der Leidensdruck subjektiv ist und zum Teil vom Beeinträchtigten kontrolliert werden kann. Würde sich der Gewaltverzicht aus dem Leiden ableiten, könnte man durch taktisches Verhalten beliebige Forderungen  stellen. Das Konzept der strukturellen Gewalt verneint genau diesen Gedanken.

Wenn wir mit Beeinträchtigungen konfrontiert werden, ist die spontane Reaktion Wut. In der Regel unterdrücken wir dieses Gefühl, um die Situation klarer analysieren und zu einer Lösung kommen zu können. Das Konzept strukturelle Gewalt liefert für die Wut eine Rechtfertigung und verhindert so eine klare Analyse.  Die Folge ist, dass der Glaube an die strukturelle Gewalt dazu führt, auf Frustration mit Aggressivität zu reagieren. Statt nach Lösungen zu suchen, wie man Beeinträchtigungen selbst beheben kann oder mit ihnen zu leben wird versucht von Dritten ihre Beseitigung einzufordern. So verhalten sich Kinder. Das heißt natürlich nicht, dass zum Beispiel Diskriminierung kein ganz reales Problem sein kann, das außerhalb der Kontrolle der Betroffenen liegt. Aber das Konzept strukturelle Gewalt ist kein geeignetes Mittel, um gegen Diskriminierung vorzugehen, da sie Konflikte anheizt und Betroffenen ihre Handlungsperspektive nimmt.

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4 Antworten to “Der Kindergarten strukturelle Gewalt”

  1. DDH Says:

    So einfach läßt sich aber die strukturelle Gewalt des Etatismus nicht wegtheoretisieren!

  2. kroraina Says:

    lieber DDH, also wenn man schon in der typisch oberlehrerhaften Manier etwas „zu einfach“ (beim nächsten Mal den Vorwurf „undifferenziert“ plazieren, da noch typischer) nennt, dann sollte man doch wenigsten ein konkretes kritikwürdiges Detail sozusagen beispielhaft hinzufügen. So einfach geht das nun wirklich nicht.

  3. kluedicke Says:

    Ganz grob finde ich deinen Beitrag, auch wenn ich ihm nicht zustimme ganz anregend. Nach langem Aufschieben gebe ich dann doch noch mal meinen Senf zu einzelnen Zeilen ab:

    „Die Gefahr des Konzepts liegt auf der Hand: Es ist geeignet den Gewaltbegriff zu verwischen und echter Gewalt Vorschub zu leisten.“
    Mal ganz abgesehen davon, dass du es versäumst, deinen eigenen Begriff der „echten Gewalt“ darzustellen; der Gewaltbegriff dürfte auch vorher schon verwischt gewesen sein. Dies zeigt sich allein schon in den juristischen Diskussionen und den Urteilen der konservativen BGH-Strafrichter zur gewalttätigen Nötigung (in Bezug auf Sitzblockaden).
    Diese Verwischung ist aber eigentlich auch nicht schlimm, sie verkompliziert halt eben gelegentlich Debatten. Gewalt ist eben auch immer unterschiedlich graduell zu bewerten. Ein Mord ist z.B. graduell immer gewalttätiger als die Video-Überwachung von Millionen oder Mrd. von Menschen (jetzt als zufälliges Beispiel für „strukturelle Gewalt“).

    „Wer anderer Ansicht ist, vertritt nicht einfach nur eine andere Meinung, sondern trägt zur strukturellen Gewalt bei und daher ist gegen einen solchen „Notwehr“ legitim.“
    Derlei Notwehr-Begründungen habe ich ehrlich gesagt von kaum jemandem bisher ernsthaft gehört… Notwehr als Maßnahme, die nur in Sonderfällen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung unterliegt, wäre ein viel zu weit ausuferndes Recht, das man sich rausnehmen würde.
    Ich glaube insgesamt eher, dass die Gewaltausbrüche bei politischen Demonstrationen andere Ursachen haben als die Begründungsmuster von irgendwelchen (linken) TheoretikerInnen…

    Insgesamt habe ich es eigentlich bisher immer erlebt, dass „strukturelle Gewalt“ immer dann erwähnt wurde, wenn man gegen die „Verwischung“ des Gewaltbegriffs des politischen Gegners durch „Gewalten gegen /Sachen/ und Personen“ begegnen wollte.
    By the way: ist dann für dich das Bemalen von weißen Wänden eines öffentlichen Gebäudes (z.B. des Casinos auf dem IGFarben-Campus) eine Form der echten Gewalt oder eher eine Lösungsmöglichkeit zur Befriedigung des Bedürfnis nach einem bunten Studienort?

    „Gewalt wird so wieder zu Mittel des politischen Kampfes.“
    Für diese Anregung danke ich dir übrigens.

  4. Robert Michel Says:

    @kluedicke: Danke für den differenzierten Kommentar. Die Debatte über abgeschwächte Formen für Gewalt halte ich für relativ fruchtlos, im Endeffekt ist es nur ein Streit darüber welche Worte man verwenden will. Der eigentliche Streitpunkt und den sollte man transparent halten ist die Frage, ob gewaltsame Gegenwehr im jeweiligen Konflikt erlaubt ist. Damit sind wir beim Notwehr-Thema. Auch wenn du es bisher nicht gehört hast, war diese Frage bei der Diskussion der Strukturellen Gewalt immer präsent, siehe z.B. den entsprechenden Abschnitt in der Wiki im SG-Artikel.

    „Ich glaube insgesamt eher, dass die Gewaltausbrüche bei politischen Demonstrationen andere Ursachen haben als die Begründungsmuster von irgendwelchen (linken) TheoretikerInnen…“

    Gewalt Ausbrüche sind immer Multikausal es braucht eine konkrete Dynamik die zu ihnen führt, aber eben auch die latente Bereitschaft Gewalt anzuwenden. Das Konzept strukturelle Gewalt trägt zu der Bereitschaft bei. Die RAF begann auch als Gruppe linke Theoretiker.
    Ja ich halte Gewalt für legitim um Sachbeschädigung zu vereiteln und halte damit Sachbeschädigung für eine Form der Gewalt. Das aus dem Grund, dass ohne gewaltbewährte Eigentumsnorm Niemand mehr Handlungsfähig ist.

    Ps: Du kennst dich mit den Sitzblockaden sicher besser aus. Meines Wissen sind sie solange keine Gewalt bis man sich gegen das Weggetragen werden wehrt?

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