Eine Streitfrage, an der die Unterschiede in der Denkweise zwischen den Anhängern verschiedener politischer Weltanschauungen deutlich werden, ist die Ehe zwischen Homosexuellen. Für Liberale ist nicht einzusehen, welches Rechtsgut geschädigt werden soll, wenn Männer Männer und Frauen Frauen heiraten dürfen. Der Begriff Ehe würde dann zwar weiter gefasst und insofern würde verändert was man unter Ehe versteht. Was Ehe zwischen Mann und Frau bedeutet würde jedoch keine Änderung erfahren und daher kann es Heterosexuellen egal sein, wie Homosexuelle das mit der Ehe halten. Abstrakter gesprochen: wenn sich ein Begriff ändert, weil er um neue Phänomenen erweitert wird oder sich ein Teil der Phänomenen ändert, die unter ihn gefasst sind, dann heißt das noch lange nicht, dass sich alle Phänomene ändern, die unter den Begriff fallen.
Konservative sehen das anders. Sie glauben, dass die Ehe ein bestimmtes Wesen hat, das darin besteht, dass sie zwischen Mann und Frau gestiftet wird, dazu dient Kinder zu bekommen und großzuziehen usw. Die Ehe ist ein Ideal und die Aufgabe jeder konkreten Erscheinung ist es diesem Ideal möglichst nahe zu kommen. Eine Abweichung von diesem Ideal bedeutet nicht, dass sich das Ideal ändert, sondern dass die Erscheinung in sich in der Unordnung und dem Strukturlosen verliert.
Eine ähnliche Auffassung findet sich im Nationalismus jede Nation habe ihren besonderen Nationalcharakter, ihr Wesen, in dem sich ein metaphysisches Konzept ausdrückt. Natürlich würde Migration dazu führen, dass sich der Charakter einer Nation ändert. Aber anstatt den Schluss zu ziehen, dass sich der Nationalcharakter im steten Wandel befindet, wird dieser Umstand zur intellektuellen Rechtfertigung für Ausländerfeindlichkeit.
Hinter Zwangsmaßnahmen steht oft die Bestrebung ein Konzept zu schützen, das in Auflösung begriffen ist. Solche Bestrebungen sind natürlich zum Scheitern verurteilt. Das Wesen einer Sache bestimmt sich aus ihren einzelnen Erscheinungen und ist daher im ständigen Wandel, auch wenn wir nicht fähig sind diesen Wandel wahrzunehmen. Mit wachsender Mobilität ging der Übergang von der Groß- zur Kleinfamilie einher, was wir unter Familie verstehen ist seitdem etwas anderes. Zwangsmaßnahmen, die das Wesen einer Sache schützen sollen können sogar kontraproduktiv sein. Sie verhindern, dass sich eine Institution neuen Begebenheiten anpassen kann. Ob eine Institution schützenswert ist, kann sich nur darin zeigen, dass sie in der Praxis funktioniert, dann braucht sie jedoch keinen Schutz mehr. Argumente, die mit „das Wesen von X ist blablabla“ beginnen, sind daher ungültig. Das muss ein Liberaler auch dann durchhalten, wenn es weh tut.
Was ist mit folgenden Idealbildern? „Das eigentliche Geld ist das Gold“ und „Die Würde des Menschen verbietet das Erzeugen von Tier-Mensch-Hybriden“. Auch wenn die Goldbugs es auf einen Test in der Realität ankommen lassen würden, ihre Rhetorik (und vermutlich auch Handeln) ist von einer Feindschaft gegen modernere Entwicklungen im Bankwesen geprägt, die sich auch gegen vernünftige Neuerungen richten kann. Der Frage was ein Rechtssubjekt kennzeichnet wurde bisher aus dem Weg gegangen. Es ist möglich, dass durch biotechnologische Experimente moralische und juristische Fragen aufgeworfen werden, die sich nur beantworten lassen, wenn man über einen objektiven Begriff eines Rechtssubjekts verfügt. Diese Entwicklung aufzuschieben, indem man entsprechende Experimente verbietet, ist keine tragfähige Lösung.