Menschen sind in unterschiedlichem Ausmaß fähig ihren Alltag zu meistern und ihr eigenes Leben zu gestalten. Ansätze das zu erklären gibt es viele, einen der vielversprechendsten wurde vom Psychologen Martin Seligman erarbeitet und ist unter dem Namen erlernte Hilflosigkeit bekannt geworden. Das Konzept beruht auf der Fähigkeit vieler Lebewesen die verschiedenste Dinge zu erlernen. Sie lehren wie ihre Aktionen die Wahrscheinlichkeit beeinflusst, dass bestimmte Konsequenzen eintreten, aber auch dass das Unterlassen von Handlungen Konsequenzen hat. Die Theorie Seligmans war, dass auch erlernt werden kann, dass die Umwelt von den Handlungen unbeeinflusst bleibt, diese Erfahrung auf andere Handlungen verallgemeinert und so die Motivation überhaupt zu handeln zerstört wird.
In unterschiedlichen Versuchen an Tieren und Menschen wurde diese These geprüft, indem die Versuchslebewesen unkontrollierbaren Reizen (z.B. Stromstöße) ausgesetzt und dann ihre Fähigkeit kontrollierbare Reize zu vermeiden überprüft wurde. Versuchslebewesen, die den unkontrollierbaren Reizen ausgesetzt waren, lernten deutlich schlechter als andere kontrollierbare Reize zu vermeiden. Zum Teil verhielten sie sich ausgesprochen lethargisch und bewegten sich überhaupt nicht.
Natürlich gibt es Faktoren, die die Erfahrung der Hilflosigkeit begrenzen, denn ansonsten würden Ereignisse, die wir nicht kontrollieren können aber unseren Alltag bestimmen, uns in die Hilflosigkeit treiben. Seligman selbst nannte drei Faktoren, die der Hilflosigkeit entgegenwirken, inkompatible Erwartungen, diskriminative Kontrolle und die relative Bedeutung der Konsequenzen.
Inkompatible Erwartungen bilden sich, wenn man lernt, eine Situation kontrollieren zu können. Diese Erwartungen wird man auch dann aufrecht erhalten, wenn die Situation zwischenzeitlich unkontrollierbar geworden ist. Sie sind eine Art Immunisierung gegen Hilflosigkeit.
Diskriminative Kontrolle meint, dass die Art der Situation in der man sich befindet von anderen unterscheidet und die Erfahrung der Hilflosigkeit nur auf bestimmte Situationen bezogen wird. Seligman berichtet von einem Experiment, dass an Schulkindern ausgeführt wurde. Ein Lehrer stellte den Kindern erst unlösbare und dann lösbare Aufgaben, sie waren nicht fähig bei diesem Lehrer die lösbaren zu bewältigen. Stellte ein anderer Lehrer identische Aufgaben lösten die Kinder diese rasch.
Auch die relative Bedeutung der Konsequenzen spielt eine Rolle. Die Erfahrung von Hilflosigkeit in einer irrelevanten Situation wird keinen Einfluss auf die Handlungsfähigkeit in subjektiv bedeutsamen haben. Umgekehrt jedoch wird die Erfahrung von Hilflosigkeit in bedeutsame Erfahrung auch in irrelevanten Situationen Hilflosigkeit hervorrufen.
Interessanter Weise tritt Hilflosigkeit auch dann ein, wenn die für einen relevante positive Ereignisse ohne eigenes Zutun eintreten. Das erklärt, warum der goldene Käfig die meisten ins Unglück stürzt. Es kann besser sein zu scheitern, als niemals die Möglichkeit zu scheitern gehabt zu haben.
Ich halte das Konzept der erlernten Hilflosigkeit daher für interessant, weil es uns dazu zwingt, unser Menschenbild zu überdenken. Das Nachdenken über den Mensch war von der Vorstellung geprägt, dass wir unser Handeln an rationalen Überlegungen ausrichten. Die Schlüsse Seligmans zeigen hingegen, dass das Handeln eher das Resultat verallgemeinerter Erfahrung ist. Wir handeln intuitiv, nicht rational. Auch die experimentelle Ökonomie deutet in diese Richtung. Wenn wir unser Menschenbild überdenken, muss das natürlich auch Auswirkung auf unsere politischen Überzeugungen haben.
Der Liberalismus kann den mündigen Bürger nicht einfach voraussetzen. Mündigkeit ist ein Anspruch, keine Tatsache. Entzieht man den Menschen die Möglichkeiten über das für sie relevante zu bestimmen, wird sich Passivität und Lethargie breit machen.
Die Technokratie kann die Gesellschaft nur dann planen, wenn sie weiß wie sich die Menschen verhalten werden. Das Paradigma des auf Anreize rational reagierenden Nutzenmaximierers war ihr lange Zeit das Leitbild dazu. Nun zeigt sich, dass man nicht davon ausgehen kann, dass Menschen rational reagieren und dass technokratische Planungsphantasien nicht zuletzt daran scheitern müssen.
Am härtesten wird jedoch die Weltanschauung der Linken getroffen. Ihre Überzeugung war es, dass die Gesellschaft den unterschiedlichen Erfolg der Menschen ausgleichen soll. Was der Einzelne erreichen kann, soll nicht von seinen Fähigkeiten und Entscheidungen abhängen, sondern vom gesellschaftlichen Konsens. Ihr Konzept zielt darauf ab, den Menschen die Kontrolle über das allerrelevanteste zu entziehen, ihren Lebenswandel. (Auch Konservative tendieren dazu den Menschen einen bestimmten Lebenswandel zu oktroyieren.) Wird es umgesetzt werden die Menschen den Mut verlieren ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen. Betrachtet man diese Welt drängt sich einem die Frage auf, ob dieser Prozess nicht schon weit fortgeschritten ist.