Archive for Dezember 2010

Was hinter Weihnachten steht

Dezember 26, 2010

Weihnachten ist das Fest, das in der westlichen Gesellschaft den größten Stellenwert besitzt. Für kein anderes Fest werden derartige Vorbereitungen getroffen, kein anderes dominiert derart den Alltag und das schon in der Vorweihnachtszeit. Das seltsame daran ist, dass Weihnachten seine eigentliche Bedeutung aus einer christlichen Tradition bezieht die mit der zunehmenden Säkularisierung ihre Deutungshoheit verliert. Es stellt sich daher die Frage, ob die Menschen eigentlich noch Zugang zu dem haben, was hinter Weihnachten steht. Darum werde ich darlegen worin aus meiner Perspektive, der eines Atheisten mit starken christlichen Wurzeln, die Bedeutung des Weihnachtsfests besteht.

Das Bedürfnis nach Religion ist das Bedürfnis mit der Ordnung der Welt in Harmonie zu leben. Je nach religiöser Tradition unterscheiden sich die Vorstellungen darüber, was die Ordnung der Welt hervorbringt. In den östlichen Traditionen ist das das unpersönliche Dharma, in den westlichen ist die Ordnung der Welt eine Schöpfung Gottes. Es geht in den westlichen Religionen daher primär um die Beziehung zu Gott. Bei dem Versuch eine Beziehung zu Gott zu etablieren stoßen die Religionen auf ein unüberwindliches Hindernis, die Transzendenz.

Transzendent ist all das, was die Möglichkeit der Erfahrung übersteigt. Unsere gesamt Wahrnehmungswelt ist auf das gerichtet, das ein Gegenstand der Welt ist. Jedes Objekt das wir erfassen ist notwendigerweise ein Teil der Welt. Aber die Macht, die die Welt erst gesetzt hat, kann selbst kein Gegenstand sein, der der Welt angehört. Wir können Gott mit unserer Wahrnehmung nicht fassen. Das ist das Problem an der jede Religion scheitern müsste. Meines Erachtens ist das Christentum die einzige Religion, die dieses Problem in seiner Radikalität annimmt und eine ebenso radikale Antwort darauf findet.

Die Antwort des Christentums besteht in dem Wunder das Gott Mensch geworden ist. Die Spanne zwischen Innenweltlichkeit und Transzendenz kann nicht vom Menschen überwunden werden, sie wird durch die Initiative Gottes überwunden. Diese Wunder ist schwer zu akzeptieren, es war den Griechen eine Torheit und den Juden ein Ärgernis, sprich es ist rational gesehen gänzlich unplausibel und widersprach der dagewesenen Orthodoxie, die sich vom Messias einen politischen Führer erhofft hatte.

Kierkegaard schaffte es meiner Meinung nach sehr gut die Ungeheuerlichkeit des Christentums zu verdeutlichen. Er verglich die Situation des Menschen mit der eines einfachen Bauern zu dem eines Tages der König selbst kommt und ihm verspricht ihn  zu seinem Erben zu machen. Für den einfachen Bauern ist das Ereignis so unwahrscheinlich, dass er es nicht zu glauben vermag.

Die Zuwendung des Erhabenen zum Niedrigen ist das eigentliche Thema des Christentums. Sie besteht nicht nur darin das Gott Mensch geworden ist. Jesus sagt zu seinen Gläubigen folgt mit nach. Das heißt der Christ ist dazu aufgerufen die Zuwendung des Erhabenen zum Niedrigen nachzuvollziehen. In der alltäglichen Praxis geschieht dies in der Nächstenliebe, die im Christentum einen besonders hohen Stellenwert hat. Aus dieser Perspektive ist es auch nur konsequent das Christus nicht als politischer Führer aufgetreten ist.

An Weihnachten feiern wir die Geburt Christi. Welche Bedeutung das für einen gläubigen Menschen haben muss, habe ich versucht in dem vorstehenden Beitrag deutlich zu machen. Diesen und allen anderen Lesern wünsche ich ein frohes Fest und besinnliche Tage.

Wikileaks und die Konflikte von Morgen

Dezember 18, 2010

Es ist wohl keine Übertreibung zu sagen, dass in die Ereignisse der vergangenen Wochen die Zukunft ihre Schatten vorauswarf. Plattformen wie Wikileaks und vor allem der Umgang mit ihnen werden das Zeitgeschehen prägen, wie wenige Begebenheiten zuvor. Wir werden Zeuge davon, wie sich die gängigen Methoden gesellschaftliche Konflikte zu regulieren auflösen. Im alten Paradigma wurden Konflikte zentral gelöst. Der Staat war die Instanz, die als Ordnung setzende Macht, entschied wie mit Streitfragen umzugehen sei. Diese Funktion wird durch drei Entwicklungen Infrage gestellt, die sich in den vergangenen Ereignissen herauskristallisieren. Das sind die wachsende Komplexität der Gesellschaft, die nicht-Territorialität des Internets und die durch das Internet entstandene Möglichkeit der Viele-zu-Viele-Kommunikation.

Man konnte schon an der Vergangenheit sehen, dass die staatlich-zentrale Gesetzgebung nicht mehr mit der wachsenden Komplexität der Gesellschaft mithält. Eine erfolgreiche zentrale Gesetzgebung setzt voraus, dass der Staat in der Lage ist die Kompetenzen zu mobilisieren, die nötig sind, um in einer Streitfrage eine zufriedenstellende Lösung zu finden. Der Punkt an dem sich die Parlamentarier selbst die nötigen Kompetenzen aneignen konnten, ist schon längst überschritten. Das erforderliche Detailwissen ist zu umfangreich. Davon zeugen die wachsende Spezialisierung der Abgeordneten und die Kompetenzverlagerung auf externe Berater und Kommissionen. Schon dieses Vorgehen war problematisch, weil es den Gesetzgebungsprozess durch Lobbygruppen beeinflussbar gemacht hat.

Dass das inzwischen nicht mehr ausreichend ist sieht man beispielsweise an der Novelle des Jugendmedienstaatsschutzvertrags. Hier griff die Politik offenbar auf Berater aus der Wirtschaft genauer den Produzenten sogenannter jugendgefährdender Inhalte zurück. Diese schafften es auch einen Vorschlag vorzulegen, der einer bestimmten Interessensabwägung gerecht wird. Der zwischen den Medien, die sogenannter jugendgefährdender Inhalte verbreiten möchten und den Eltern, die ebendiese Inhalte von ihren Kindern verbergen wollen. Der Vorschlag ließ jedoch die Anliegen von Gruppen außeracht, die nicht an der Beratung beteiligt waren, insbesondere derjenigen die auf privater Basis Inhalte ins Netz stellen. So kam es, dass fast ein Vorschlag umgesetzt wurde, der den einfachen Blogger mit erheblichen Risiken belastet hätte.

Der Vorgang zeigt, dass es der Politik nicht mehr gelingt die wesentlichen Interessenskonflikte, die sich aus einer Neuregelung ergeben, zu identifizieren und daher notwendigerweise Regeln beschließt, die massiv in die berechtigten Interessen bestimmter Gruppen eingreift. Je komplexer die Gesellschaft wird, desto komplexer werden die Konflikte und desto schlechter gelingt Politik. Wir haben es hier mit dem Problem des verteilten Wissens zu tun. Ähnlich wie ökonomische Probleme nicht durch zentrale Planung gelöst werden können, da das erforderliche Wissen über alle Wirtschaftssubjekte verteilt ist, können Interessenskonflikte nicht zentral gelöst werden. Der Ausweg besteht darin, den Anspruch, diese Probleme zentral zu verwalten, aufzugeben und stärker darauf zu vertrauen, dass sich durch dezentrale Vermittlung spontan tragfähige Regeln herausbilden.

Die zweite Entwicklung, mit der wir uns auseinandersetzen müssen, ist der Umstand, dass das Territorialprinzip nicht auf das Internet angewendet werden kann. In der offline-Welt wird ein Streitfall nach den Gesetzen des Staates entschieden, auf dessen Territorium er aufgetreten ist. Im Internet kann man nicht ohne weiteres entscheiden, wo ein Streitfall auftritt. Der Status Quo ist, dass auf jeden Inhalt, der im Netz steht, die Gesetze jedes Staates angewendet werden können, in denen er verfügbar ist. Es ist möglich, dass einem Brasilianer, der auf Servern in den USA rechtradikale Propaganda betreibt, in Deutschland der Prozess gemacht wird. Auf einem anderen Blatt steht, ob ein Staat sein Recht auch international durchsetzen kann. Jemand, der sich durch seine Veröffentlichung im Internet strafbar gemacht hat, kann einer Strafe entgehen indem er die Staaten meidet, in denen er verfolgt wird. Die Folge ist Staaten das Mittel der Strafverfolgung nicht mehr zur Verfügung steht, um unliebsame Inhalte aus seinem Territorium fern zu halten.

Der Kampf gegen Inhalte aus dem Internet wird also mit unorthodoxen Methoden geführt. Ein Beispiel wie so ein Kampf aussehen kann bietet uns Wikileaks. Hier sehen wir, dass nicht mehr allein bei den Urhebern der unerwünschten Inhalte angesetzt wird, sondern zunehmend die Ressourcen angegriffen werden, die dazu dienen die Inhalte zu verbreiten. Im Fall von Wikileaks waren das zum einen die Serverkapazitäten, die durch DoS-Attacken und der Verweigerung von Dienstleistern, eingeschränkt wurden, zum anderen die Finanzströme. Die Attacken auf Wikileaks konnten zum Teil durch eine Solidarisierungswelle abgewehrt werden. Es wurde Druck auf Unternehmen ausgeübt, ihre Dienste weiterhin auch Wikileaks anzubieten und es wurden Mirrors für die Wikileaks eingerichtet.

An den Kämpfen um Wikileaks sehen wir, das sich die Austragung der Konflikte von staatlichen Institutionen auf die Zivilgesellschaft zurück verlagert. Der Kampf darum, welche Inhalte im Netz stehen können, wird nicht mehr vor Gericht ausgetragen, er entscheidet sich dadurch welche Seite mehr Anhänger mobilisieren kann. Von Hayek stammte die Deutung, dass die Demokratie das Ergebnis eines Bürgerkriegs vorwegnimmt, da die Seite die sich im Parlament durchsetzt auch die sei, die sich in einer gewaltsamen Auseinandersetzung durchsetzen würde. Da die Regelsetzung der Parlamente nicht mehr greift, kehren im Internet bürgerkriegsähnliche Verhältnisse wieder. Das muss nicht das letzte Wort sein. Es ist denkbar, das sich aus den bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen eine Ordnung herausbildet durch die Konflikte dezentral reguliert werden können. Eine Reihe ungeschriebener Gesetze durch die die Anwendung destruktiver Methoden sanktioniert wird.

Zuletzt wenden wir uns der Möglichkeit der Viele-zu-Viele-Kommunikation zu. Durch das Internet ist es dem Einzelnen möglich geworden mit überschaubarem Aufwand ein Massenpublikum zu erreichen. Nur wenigen gelingt das tatsächlich, aber die Möglichkeit ist prinzipiell da. Damit verändert sich auch das Verhalten der Konsumenten von Information. Griff er in der Vergangenheit auf einige wenige Informationsquellen mit hohem Bekanntheitsgrad zurück, stehen ihm heute zusätzlich Quellen mit mittlerem Bekanntheitsgrad zur Verfügung. Die Funktion der alten Medien den gesellschaftlichen Diskurs zu fokussieren geht damit verloren. Neben dem Hauptdiskurs werden zahlreiche Nischen- und Nebendiskurse geführt. Nachrichten und Ideen die früher aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrängt werden konnten, können heute ungehindert verbreitet werden. Als Beispiel sei der Maskulismus genannt, der sich ohne Internet nicht hätte entwickeln können.

Durch das Internet besteht also die Möglichkeit, dass sich auch die Diskursführung dezentralisiert. Der einzelne rezeptiert nicht mehr nur den Hauptdiskurs sondern konzentriert sich auf die Diskussionen, die für ihn tatsächlich relevant sind und kann prinzpiell auch zu ihnen beitragen. Ebenso verändert sich die journalistische Sorgfalt, konnten die Medien früher auf ihrer Autorität vertrauen, wird im Internet erwartet, dass sich die Hauptaussagen durch Verlinken der Hauptquellen auch belegen lassen.

Wir haben also gesehen, dass wegen verschiedenen Entwicklungen, die sich vor allem in Internet abspielen, sich die Konfliktregulierung von staatlich-zentraler Ebene auf die zivilgesellschaftlich-dezentrale Ebene verlagert. Das betrifft sowohl, die Art wie Lösungen von Konflikten gefunden werden als auch wie diese durchgesetzt werden. Viele werden darin ein Bedrohung sehen, angetrieben von der Angst die Anarchie des Internets wird zu einer Anomie führen. Aber vielmehr besteht die Hoffnung, dass sich im Internet die Ordnungsstrukturen herausbilden, die erforderlich sind, um die Konflikte einer komplexer werdenden Welt zu bewältigen. Wer weiß vielleicht werden diese Ordnungsstrukturen, sollten sie sich als erfolgreich erweisen, als Vorbild für die Neugestaltung der Offline-Welt dienen.

Warum ich (k)ein Biologist bin

Dezember 8, 2010

In zwei meiner früheren Artikel argumentierte ich mit biologisch vorgegebenen Dispositionen. In „Männlichkeit als Bedrohung und Triebfeder“ beschrieb ich das ausgeprägte Konkurrenzstreben von Männern und die gesellschaftlichen Reaktionen auf dieses. In „Warum Geschlechtsdifferenz nicht gleich Diskriminierung ist“ wie der Umstand, dass das Konkurrenzstreben bei Frauen weniger stark ausgeprägt ist, zu Unterschieden in den Lebensentwürfen führen, die sich auch in der Lohn- und Gehaltstatistik niederschlagen.

Solche Argumente haben immer etwas Anrüchiges. Konfrontiert man etwa Feministen mit Argumente, die auf evolutionsbiologischen Überlegungen basieren, wird auf diese gar nicht erst eingegangen, sondern bestenfalls wird darauf verwiesen, dass die Überlegungen das Produkt der herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse sind und somit keine Beweiskraft haben. Trifft man auf die üblere Sorte kann es einen passieren, das einem unterstellt wird, Frauen von Natur aus einen Platz zuzuweisen oder den Nazis das Wort zu reden. Argumente, die sich auf die biologischen Vorgaben beziehen, müssen also zwei Kritiken standhalten einer erkenntnis- theoretischen und ethischen.

Die Erkenntnistheoretische Sicht geht auf den Ideologiebegriff Karl Marx zurück. Dem zufolge dienen die jeweils vorherrschenden Ideen der herrschenden Klasse, indem sie die eigentlichen Machtverhältnisse verschleiern und rechtfertigen. Es wird in solchen Kritiken eine Petitio principii unterstellt, die Machtverhältnisse strukturieren die Erwartungen an den Forschungsgegenstand und diese Erwartungen führen zu Thesen, die die Machtverhältnisse rechtfertigen.

Das ist oberflächlich gesehen plausibel. Dass diese Kritik falsch ist, ergibt sich erst wenn man sich mit den Details der Forschung beschäftigt. So ist es leicht sich Ergebnisse für offene Fragestellungen zu überlegen, die mit den Erwartungen und verwendete Methoden vereinbar sind, aber die Machtverhältnisse nicht decken. Oder man betrachtet die Ergebnisse die die gesellschaftlichen Strukturen nicht decken, etwa dass die sexuellen Vorlieben der Menschen nur teilweise der Monogamie entsprechen. Zu guter Letzt ist es noch nicht mal überraschend, dass sich die bestehende Verhältnisse durch manche empirischen Befunde rechtfertigen lassen, denn die Verhältnisse müssen sich an die empirische Realität anpassen, um bestehen zu können.

Eine Erkenntnistheoretische Kritik von Argumenten müsste weit mehr leisten als der Verweis auf die Ideologiekritik. Sie müsste zeigen welche Vorstellungen der kritisierten These zugrunde liegen, wie diese zustande kommen und dass ohne sie die These nicht aufrechtzuerhalten ist. Gerade der letzte Punkt erfordert viel Sachkenntnis. Mit ist jedoch kein Fall bekannt, in dem eine derart detaillierte Kritik geleistet wurde. Die meisten Poststrukturalisten bleiben auf der Ebene der Allgemeinplätze stehen.

Kommen wir zur normativen Kritik des Biologismus. Der verbreiteteste Vorwurf ist das durch ihn die gesellschaftlichen Rollen fixiert werden. Es wird ihm die Position untergeschoben, dass Frauen und Männer ein bestimmtes Wesen hätten und Abweichungen von diesem zu bekämpfen seien. Das folgt natürlich nicht, aus dem Verweis auf biologisch vorgegebenen Dispositionen. Die empirisch-induktive Methode der Naturwissenschaften macht es unmöglich endgültige Aussagen über das Wesen einer Sache zu treffen. Wenn man einen Menschen trifft, der von dem abweicht, was man für das Wesen des Menschen hält, erfordert die wissenschaftliche Methode, dass man die Vorstellung vom Wesen des Menschen revidieren und nicht die Erscheinung des Abweichenden bekämpfen. Daher sind Versuche Wesens- zuschreibungen biologisch zu stützen pseudowissenschaftlich.

Solche Wesenszuschreibungen können auf zwei Arten verwendet werden. Zum einen können Unterschiede zwischen Populationen verwendet werden, um Diskriminierungen auf individueller Ebene zu rechtfertigen. Das ist natürlich Unsinn, da das Verhalten und die Eigenschaften der Einzelnen durch die Zugehörigkeit zu einer Population nicht vollständig determiniert sind. Es besteht immer die Möglichkeit von Abweichungen. Weil Grünäugige im Schnitt bessere vertrauenswürdiger sind als Blauäugige, kann man per se nicht alle Grünäugigen den Blauäugigen vorziehen, wenn es darum geht verantwortliche Positionen zu besetzten. Zum anderen können Unterschiede zwischen Populationen geleugnet werden. Hier wird eine Wesensgleichheit behauptet, die faktisch nicht vorhanden ist. Im Beispiel würde man aus dem zu erwartenden Umstand, dass Grünäugige häufiger in verantwortliche Positionen zu finden sind, schießen das Blauäugige diskriminiert werden und Maßnahmen fordern, die diesen Umstand beseitigen.

Die Kritik das gesellschaftliche Rollen fixiert werden, geht noch weiter. Wenn sich durch tatsächlich gegebene Fakten der Natur sozialer Unterschiede rechtfertigen lassen, wird es schon attackiert, diesen Umstand zu benennen. Anders als in der erkenntnistheoretischen Kritik geht es hier nicht mehr, um die Frage ob die gegebenen Fakten soziale Unterschiede tatsächlich rechtfertigen, sondern allein dass Unterschiede gerechtfertigt werden, ist Anlass genug, die entsprechende These zu verwerfen. Der Fehler liegt hier bereits in der Prämisse, dass alle sozialen Unterschiede zu bekämpfen wären. Soziale Unterschiede an sich müssen nicht Ausdruck von Ungerechtigkeit sein, erst wenn sie durch ungerechte Handlungen herbeigeführt wurden, sind sie das. Um zu zeigen, dass die bestehenden Unterschiede ungerecht sind, müsste gezeigt werden, dass systematisch ungerechte Handlungen begangen werden, die zu diesen Unterschieden führen. Meist wird jedoch in die Gegenrichtung argumentiert. Der Umstand das soziale Unterschiede bestehen zeige, dass ungerechte Handlungen bestehen müssen. Gerade dieser Schluss ist falsch.

Wir haben also gesehen, dass die Kritik am sogenannten Biologismus auf weltanschaulichen Prämissen beruht, die beim näheren Hinsehen in der Luft hängen. Das trifft sowohl auf die poststrukturellen auf die Erkenntnismöglichkeiten zielenden, als auch auf die normativen Kritiken zu. Sie machen nur dann Sinn wenn man sich ohnehin im linken Denken bewegt, können aber niemanden überzeugen, der die linke Gesinnung nicht teilt.

Sollte man Wikileaks verdammen?

Dezember 3, 2010

Es gibt keine Frage, die die Menschen zurzeit mehr entzweit, als die wie man Wikileaks bewerten sollte. Das Spektrum an Meinungen reicht von Unterstützung für die Ziele, über Angst vor den möglichen Auswirkungen auf das frei Internet bis hin zu radikalem Zynismus, der Untertan an sich dürfe ja nicht zu viel wissen (Edit: eine Erläuterung dieser Einschätzung befindet sich im Kommentarbereich). Und die Auswirkungen, die Wikileaks haben wird, sind in der Tat komplex.

Die schwerwiegendste Anschuldigung ist, dass die Veröffentlichungen von Geheiminformationen Menschenleben gefährde. Obwohl diese Vorwürfe auf dem ersten Blick plausibel erscheinen, gibt es bisher keine Hinweise darauf, dass bisher Menschen durch Informationen zu Schaden kamen, die auf Wikileaks veröffentlich wurden. Es liegt die Spekulation nahe, dass wenn Wikileaks an bestimmte Daten kommt, die Feindpartei das schon lange kann. Zudem hat Wikileaks aus den Fehlern gelernt und versucht nun Daten zu entfernen, die Personen gefährden. Das Restrisiko dürft bei weitem geringer sein, als das Risiko, das von Informanten der Gegenpartei selbst ausgeht.

Ein weiterer Vorwurf besteht darin, dass der Kopf hinter Wikileaks Julian Assange die USA hasst und einen Kreuzzug gegen sie führt. Dieser Vorwurf kommt mir gänzlich unplausibel vor, hätte jemand wie Assange nicht ganz andere Möglichkeiten den USA zu schaden? Wenn man einen Blick in Assanges Biographie wirft, stellt man fest, dass er die Werte die hinter Wikileaks stehen, schon als junger Erwachsener lebte. Nichts in seiner Biographie weist auf extremen Hass hin. Auch kann Ex-Aktivist Herbert Snorasson in einem Interview mit der Zeit meines Erachtens die Motive für das Verhalten von Wikileaks verständlich machen.

Eine intelligentere Kritik besteht darin, zu hinterfragen ob das Vorgehen von Wikileaks nicht, das Ziel den Zugang zu Information zu verbessern konterkariert. Zwingt größere Transparenz nicht dazu Entscheidungsprozesse von den offiziellen Kanälen, die der Transparenz unterworfen worden, auf inoffizielle zu verlagern? Auch das wirkt auf dem ersten Blick plausibel, aber bei Wikileaks geht es explizit um Dokumente, die gerade geheim gehalten werden sollen und zwar nicht nur wegen dem Inhalt der Dokumente selbst, sondern um die Kosten der Geheimhaltung so weit zu erhöhen, dass Geheimhaltung gegenüber Transparentem Verhalten die schlechtere Strategie ist. Um es mit Assanges Worten zu sagen: „the more secretive or unjust an organisation is, the more leaks induce fear and paranoia in its leadership and planning coterie”. (Siehe auch diese Interview)

Der letzte Vorwurf mit dem ich mich auseinandersetzen will, ist die Einordnung von Wikileaks als Verbrecher. Es ist egal wie die Sache juristisch zu beurteilen ist, naturrechtlich gesehen, kann es kein Recht darauf geben Dritten die Weitergabe von Informationen zu untersagen. Der Schutz vor Verrat kann nur durch vertragliche Abmachungen entstehen, kann also nur den Hinweisgeber selbst betreffen, nicht aber daran anschließende Multiplikatoren wie Wikileaks. Wie die die Site moralisch zu beurteilen ist steht wieder auf einem anderen Blatt.

Das faszinierende an Wikileaks sind die extremen Emotionen, die es hervorruft. Diese zeigen sich schon in der Darstellung Assanges. Man vergleiche etwa dieses Foto mit jenem. Oder daran, dass einige seiner Gegner ihm den Tod wünschen. So heftige Reaktionen können nur entstehen, wenn ein wunder Punkt getroffen wurde. Liegt das daran das Bürger des Westens westlichen Staaten absichtlichen Schaden zufügen, also Verräter sind? Das tut auch jeder islamistische Konvertit ohne besonderen Hass auf sich zu ziehen. Oder liegt die Ursache des Hasses nicht vielmehr darin, dass Wikileaks Dinge offenbart, die man eigentlich gar nicht wissen wollte?

Wie die USA deutsche Politiker beurteilen oder dass die Staaten des mittleren Ostens trotz anderslautender Rhetorik Israel dem Iran vorziehen, konnte sich jeder denken. Aber nicht an solche Dinge denken zu müssen erlaubt es einen mehr Gemeinsamkeiten mit seiner Regierung zu finden als objektiv vorhanden sind. Wie wenig die Regierung die eigenen Interessen vertritt ist ein Gedanke, der den meisten Menschen Angst macht und der gerne verdrängt wird. Hier wären wir gerne unehrlich.

Wikileaks erzwingt eine brutale Ehrlichkeit.  Eine solche Ehrlichkeit ist das Merkmal freier Gesellschaften. Denn in freien Gesellschaften muss man sich vor seinem Nächsten nicht verstecken. In unfreien Gesellschaften hingegen kann einem jede Missgunst, die man erregt, zum Verhängnis werden. Daher werden hier die eigenen Ziele hinter einem Schleier aus Lügen und Andeutungen versteckt. Der freie Mensch kann es sich nicht leisten, die Welt durch Schleier hindurch zu sehen, er ist für sein Wohl und Wehe selbst verantwortlich und muss informierte Entscheidungen treffen. (Das ist nebenbei auch ein Grund warum Planwirtschaften und die Verwaltungen autoritärer Regime so ineffizient sind, auch sie können sich ihre Lügen eigentlich nicht erlauben.) Aber unsere Staaten lieben es ihre Politik mit einem seichten Schleier aus Halbwahrheiten zu verweben. Eigentlich können wir uns das nicht leisten und darum bin ich für Wikileaks und verdamme es nicht.