Nachdem ich von CK auf einen von Manfreds Artikeln aufmerksam gemacht wurde, habe ich heute endlich die Zeit gefunden mich mit Manfreds Auseinandersetzung mit dem Liberalismus zu beschäftigen. CK hat dazu schon sehr viel Lesenswertes geschrieben, hinter dem ich zu 100% stehe (wenn man den Seitenhieb auf den Anarchismus überliest) und das schon andernorts auf Aufmerksamkeit gestoßen ist.
Ich fühle mich genötigt noch mal in die gleiche Kerbe zu hauen, weil der Artikel die Möglichkeit bietet das Scheitern der Konservativen Denkweise zu demonstrieren. Er beruht auf dem Kernvorwurf an die Linke, zu der Manfred auch die Liberalen zählt, dass sie wegen ihrer Ideologie nicht bereit sind bestimmte Realitäten anzuerkennen. In diesem Beitrag will ich zeigen, dass auch die konservative Position nicht davor gefeit ist.
Der erste Ansatzpunkt dazu liefert bereits die Zusammenfassung konservativer Vorstellungen, die Manfred seiner eigentlichen Kritik des Liberalismus Vorstellungen vorausschickt. Betrachten wir den Kern seiner Argumentation, die Beobachtungen, „dass es in allen Gesellschaften zu allen Zeiten (wenn und sofern sie sich nicht im Prozess des Zerfalls befanden) so etwas wie Religion gab, dass Familien- und Clansolidarität als Tugenden galten, dass Patriotismus (bzw. äquivalent die Loyalität gegenüber politisch definierten Großgruppen größer als die Familie, aber kleiner als die Menschheit) hochgeschätzt wurden“, aus der Manfred folgert, dass dies die Gesellschaft stützenden Strukturen sind.
Hierzu zwei Einwände: Erstens zeigt die Beobachtung nicht, dass es einen Zusammenhang zwischen Zerfall und dem Verlust der genannten Werte gibt. Dazu müsste Manfred zeigen, dass Gesellschaften ohne diese Werte tatsächlich häufiger zerfallen als andere. Er nennt jedoch noch nicht einmal ein Fallbeispiel, das zeigt wie eine Gesellschaft kollabiert nachdem ein Werteverlust eingetreten ist. Das von anderen Konservativen oft genannte Beispiel Untergang des antiken Roms kann nicht als Ersatz herhalten, denn die These, dass der auf Dekadenz zurückzuführen sei, ist unter Historikern mehr als umstritten[1].
Im Gegensatz dazu fallen mir leicht Zivilisationen ein die aus wirtschaftlichen Gründen untergegangen sind. Die Sowjetunion beispielsweise. Auch die Kultur auf der Osterinsel ist sicherlich nicht kollabiert, weil die Bevölkerung sich von ihrer Moaireligion abwand, um das Argument auf eine zynische Spitze zu treiben. Neben Untergang wegen der Wirtschaft, gibt es sicherlich auch welche aufgrund militärischer Niederlagen. Hier könnte man Dekadenz vermuten, militärische Niederlagen scheinen aber eher dann die Folge zu sein, wenn eine Kultur technische und organisatorische Innovationen von Feinden nicht übernehmen kann.
Zweitens muss man bedenken dass Abweichung von den Werten Familie und Religion erst seit 300 Jahren, denkbar sind. Davor war praktisch jede Weltdeutung religiös. Als Ausnahme könnten die antiken Griechen herhalten, die einen rationalistischen Zugang zur Welt hatten. Die griechische Kultur konnte diesen Atheismus offenbar überleben. Abweichungen von der Familie sind erst denkbar wenn Individuen ausreichend wirtschaftliche Sicherheit haben, um nicht auf die Familie angewiesen zu sein. Erst seit 200 Jahren haben wir dazu den nötigen Wohlstand. Unter diesen Umständen ist die Beobachtung, dass jede funktionierende Gesellschaft bestimmte Werte innehat, trivial.
Die Historie als Beleg für eine Konservative Weltanschauung zu nehmen, ist also höchstens das Ergebnis selektiver Wahrnehmung, ein Ergebnis der konservativen Haltung das Geistige über das Materielle zu stellen und in der Folge das Materielle aus dem Blick zu verlieren[2].
Manfred verwendet die konservativen Basics um sich von vornherein gegen Kritik zu immunisieren. „Wer keine Erklärung dafür anbieten kann, warum unsere Gesellschaft nicht in ihre Bestandteile zerfällt, nicht so aussieht wie während des Dreißigjährigen Krieges, …, kann nicht verstehen, was ich hier schreibe!“ (Hervorhebungen im Original) Ein solches Wissen liegt natürlich weit hinter den menschlichen Möglichkeiten. Wir können nur ahnen durch was die Gesellschaft bedingt wird. Jedem, der nicht die konservative Lösung des Problems übernimmt und das Funktionieren der Gesellschaft als gegeben annimmt, kann vorgeworfen werden das Problem zu ignorieren. Laut Manfred ist genau das ein Kenzeichen für Linke Ideologie. Zustimmung wurde zur Diskussionsvoraussetzung, denn linken Ideologen will Manfred kein Forum bieten. Wie eine solche Immunisierung in die Praxis umgesetzt wird, zeigen die Erfahrungen Karstens und Raysons, die bereits nach wenigen Kommentaren verbannt wurden[3].
Ich will meine Leser nicht dumm sterben lassen und eine Lösung für das konservative Grundproblem anbieten: In einem anderen Beitrag sieht Manfred die Grundlage von Gesellschaft in Verhalten, das einem keine persönliche Vorteile bringt und sich nur auszahlt weil sich alle anderen gleichartig verhalten. Die Frage warum sich Menschen dennoch solidarisch zeigen, beantwortet Manfred mit der Religion, die solches Verhalten aus nicht egoistischen Gründen verlangt. Die Möglichkeit die Spieltheorie naheliegt, das das eigene Verhalten andere zu Kooperation veranlasst, verwirft Manfred, da das in dem Maßstab nicht funktionieren könne braut er sich mit spieltheoretischen Berechnungen nicht aufzuhalten. Braucht er auch nicht, andere haben diese Berechnungen längst durchgeführt. Das Ergebnis ist das folgende: Individuen die der Tit vor Tat-Taktik folgen können opportunistische Individuen verdrängen. Dabei entsteht eine Zone kooperativen Verhaltens, in der sich auch rein Kooperative Taktiken halten können, wird der Anteil an rein kooperativen Individuen in einer solchen Zone zu hoch, wird sie gegenüber Opportunisten wieder anfällig und kann zusammenbrechen. Für das Funktionieren einer Gesellschaft ist also die Möglichkeit Fehlverhalten durch Nichtkooperation zu sanktionieren ausschlaggebend. Ironischer Weise versuchen gerade die von Konservativen hochgehaltenen Institutionen, Christentum und Sozialsysteme, diese Sanktionsmöglichkeiten auszuhebeln. Deswegen wird das Christentum auch so selten 1:1 umgesetzt. Die Gesellschaftliche Eigendynamik ist stark genug um selbst das Christentum zu überleben. Inwiefern sich solcher Modelle auf die Wirklichkeit übertragen lassen ist natürlich fragwürdig, man kann jedoch als bleibendes Ergebnis betrachten, dass die beste Strategie im Gefangendilemma Kooperation bei gleichzeitiger Sanktion von Fehlverhalten ist und nicht ideologische Beeinflussung der Mitspieler. Und nein, wertelos zu sein ist kein Fehlverhalten im relevanten Sinn.
Dass es nicht der Ideologische Überbau einer Gesellschaft ist, der ihr Funktionieren bedingt, lässt sich schon daran sehen das diese These zu viel aussagt. Manfred verlangt sehr viel: „Und noch einmal für die, die schwer von Kapee sind: Es geht nicht um diese oder jene konkrete Gesellschaftsordnung, sondern um Gesellschaft überhaupt, im Unterschied und Gegensatz zum Hobbesschen bellum omnium contra omnes.“ Worunter ganz klar auch die vorgeschichtliche Horde zählt. Wenn die Gesellschaft von Werten abhängt, die die Individuen zu solidarischen Handeln bewegt, hätte die Menschheit nie die Zeit überlebt in der diese Werte noch nicht entwickelt waren.
Auf Grundlage der konservativen Theorie ordnet Manfred nun die Liberalen den Linken zu. Dazu spricht er klassischen Liberalen ab, eine geschlossene Weltanschauung zu sein (und übergeht damit Adem Smith, John Locke, die Freihandelsbewegungen, die Kämpfe um den Rechtsstaat und auch noch so einiges), um Liberalen mit geschlossener Weltanschauung zu unterstellen sie sein Linke, die den Kapitalismus nicht als hierarchische, ergo eine für Linke zu zerschlagene, Struktur begreifen. Aber es duchaus auf anderere Strukturen abgesehen haben. Auch das Liberale Programm münde in Totalitarismus, da die zerschlagenen Strukturen durch den Staat ersetzt werden müssten. Das sehe man den Strukturreformen des IWFs, die nur von Autokratien durchgesetzt werden konnten. Was wir daran sehen ist, dass Manfred keine Ahnung hat über was er schreibt. Liberale wollen Strukturen – Manfred nennt Völker, Nationen, Familien, Sitten – nicht zerschlagen, in dem Sinn, dass sie Zwang zu ihrer Vernichtung befürworten. Für Manfred ist zerschlagen jedoch schon, wenn man es untersagt Zwang zum Erhalt der Strukturen einzusetzen. Ob das zum Zerschlagen schon ausreicht dürfte fraglich sein, solange die Strukturen mit den Zielen der Individuen vereinbar sind. Genau das sollte man von gesellschaftserhaltenen Strukturen aber erwarten können. Strukturen, die unter freien Bedingungen nicht weiterbestehen können, sind vermutlich nicht mehr gesellschaftserhaltend und sollten nicht künstlich stabilisiert werden. Den Grund zu erklären würde den Rahmen dieses schon viel zu langen Beitrags sprengen, ich komme an anderer Stelle darauf zurück.
Zu den Strukturreformen ist anzumerken, dass diese genau dann implementiert werden, wenn sich ein Land in einer Krise befindet, in deren Folge der Lebensstandard sinkt. Der IWF gibt in solchen Situationen Kredit, um die Stabilität des weltweiten Finanzsystems zu gewährleisten. Die Konditionalitäten dienen dazu langfristig Krisen zu vermeiden und Wirtschaftswachstum zu ermöglichen. Oberflächlich wirkt das dann so als hätte die Politik des IWFs verursacht, dass der Lebensstandard sinkt[4]. Das die Strukturreformen mit der Staatsform in Verbindung steht ist mir bisher unbekannt; vermutlich reproduziert Manfred hier linke Propaganda oder wirft sie mit dem Pinochetregime durcheinander. Auch verwechselt er totalitär und autoritär, das eine bezeichnet eine Regierungsform die versucht die Untertanen zu gestalten, das andere eine die bei der Entscheidungsfindung die Untertanen nicht konsultiert.
Manfred folgert daraus, dass Liberale keine Konservativen sind (wörtlich: von falschen empirischen Prämissen ausgehen), dass sie den Beweis ihrer Richtigkeit in die Zukunft verlagern. Die gewaltigen Erfolge des Liberalismus den Rechtsstaat, Freihandel, Überwinden das Merkantilismus usw. liegen also alle in der Zukunft, interessant.
Als Beleg dafür, dass er den Liberalismus den Linken zuordnet, dient Manfred das Menschenbild das er als positiv empfindet. Als positiv kann das liberale Menschenbild nur von einem kollektivistischen Standpunkt aus wirken. Der Kern des Liberalismus ist, dass das Handeln eines Individuum zu aller erst das eigene Ergehen beeinflusst und das das Ergehen im Groben und Ganzen eine Folge des eigenen Handelns ist. Ein Scheitern ist möglich aber es bleibt ein individuelles Scheitern. Unter der kollektivistischen Brille ist es jedoch nicht möglich eine Aussage zu machen die nicht für alle Menschen in gleicher Weise gilt. Aus dem Anerkennen der Eigenverantwortung wird ein nur staatlicher Zwang hindert die Menschen daran ihren notwendig eintretenden Erfolg zu ernten, womit die Utopie erreicht wäre.
Den letzten Teil seines Artikels widmet Manfred dem Versuch zu belegen, dass Liberale andere danach beurteilen, ob ihre Meinung ins linke Weltbild passt. Er führt Zitate an, in denen PI als rechtsradikal diffamiert würden. Da ich PI nicht lese nehme ich das mal so hin wie Manfred es beschreibt, bis auf eine Ausnahme. Gehen wir davon aus das sich die Öffentlichen Vertreter des Liberalismus vor den Linken Karren spannen lassen, der Frage inwieweit dieser Linksliberalismus für den Liberalismus repräsentativ ist stellt sich Manfred nicht. Selbst wenn sie die Mehrheit aller Liberalen stellen sie verhalten sich zum eigentlichen Liberalismus, wie sich die CDU zum eigentlichen Konservativismus verhält. D.h. was von dort kommt, ist erst durch den Filter linker Hegemonie gegangen.
Übel nehme ich Manfred das missbräuchliche Zitieren von C.K. Die Aussage: „Sicherlich kann man sich da ideologisch irgendwas zusammenbasteln (bspw. Rassenunterschiede), was aber wohl nur hinken kann und somit macht man sich der Dummheit schuldig. Jemand, der so argumentiert, hat verdient, dass Andere es genau gleich handhaben und erstmal ihn über den Haufen ballern oder einsperren.“ Bezog sich in keinster Weise auf PI, sondern auf Rassismus im Allgemeinen. Redlichkeit sieht anders aus.
Nicht eingegangen bin ich auf jene liberalen Entwürfe die der Ansicht entsprechen, das Geistige sei ausschlaggebend für den Bestand der Gesellschaft. Hier ist an erster Stelle Hayek zu nennen, auch die Paxxis haben sich mit dem Thema auseinandergesetzt.
Fußnoten:
[1] Genauer sie wird als falsifiziert betrachtet, weil die Dekadenz schon in Roms Blütezeit festzustellen ist. Siehe auch die Wiki.
[2] Ähnliches ist man von den Gründen, den Konservativen des linken Spektrums, gewöhnt.
[3] Der zweiten Schritt der Immunisierung besteht darin Andersdenke für so gefährlich zu halten, dass man ihnen gegenüber keine Rücksicht nehmen darf.
[4] Die Beschreibung paraphrasiert Paul Collier: die unterste Milliarde, Orginaltitel: The Bottom Billion. Why the poorst countries are failing. Oxford Univerity Press, New York 2007. S.61f.