Nach vielen Auseinandersetzungen mit Menschen aus allen politischen Lagern, denke ich innerhalb dieser Lager bestimmte Gemeinsamkeiten ausmachen zu können. Eine der wichtigsten gemeinsamen Nennern der Anhänger einer bestimmten Weltanschauung ist ohne Zweifel, die Art und Weise wie der Wahrheitsgehalt einer Aussage ermittelt wird. Es geht in diesem Artikel also im die implizite Erkenntnistheorie, die mit einer Weltanschauung einhergeht.
Implizit ist diese Erkenntnistheorie daher, weil ich mich auf die Methode beziehe, mit der tatsächlich Argumente gewonnen werden und nicht auf die öffentlich gemachten Reflektionen der entsprechenden Anhänger, allein schon weil die meisten Kommentatoren ihre Erkenntnistheorie nicht reflektieren.
Am leichtesten fällt es die implizite Erkenntnistheorie der Linken zu identifizieren. Häufig werden Verweise auf ökonomisch Zusammenhänge mit der Behauptung beiseite gewischt, diese seien ein Produkt des kapitalistischen Systems und würden nur für diese Geltung besitzen. Interessant sind auch die Mittel, mit denen Andersdenkende als National Sozialisten identifiziert werden, die ohne das ausführen zu wollen schon formallogisch fehlerhaft sind. Der typische Linke lehnt also schon die Vorstellung ab, dass es in der Wirklichkeit festgelegte Strukturen gibt, die auf wissenschaftliche Weise erkannt werden können. Theorien über solche Strukturen seinen das Produkt der Sozialisation, des Klassenstandpunktes oder ein Mittel um eigene Interessen durchzusetzen. Dies ist die Position des Konstruktivismus, Begriffe entstehen diesem zufolge nicht als Abstraktionen der Wahrnehmungen, sondern die Wahrnehmung wird den Begriffen so angepasst, dass diese einen Sinn ergibt. Die Wahrnehmung könne somit nicht herangezogen werden, um Aussagen ihrer Adäquatheit nach zu beurteilen, alle Theorien seien gleichwertig.
Dieser Befund wirkt verblüffend haben Linke doch ihre eigenen Theorien über politische Zusammenhänge. Dieser Wiederspruch lässt sich lösen, wenn man davon ausgeht, dass linke Theorien nicht als Tatsachenbehauptung gemeint sind, sondern als Mittel der politischen Auseinandersetzung, etwas gilt als richtig, wenn es dem linken Programm nutzt, eine empirische Überprüfung ist nicht erwünscht. So ist z.B. die marxistische Arbeitswertlehre so formuliert, dass sich aus ihr keine Voraussagen über das wirtschaftliche Geschehen machen kann (die Krisentheorie wurde von Marx nie geschlossen formuliert, das Gesetz der fallenden Profitraten ist ein alleinstehendes Postulat, sie widersprechen meiner Aussage also auch nicht), jedoch folgt aus ihr die politische Forderung, dass Kapitaleinkommen eigentlich den Arbeitnehmern zustünden.
Da die Aussagen von Linken nicht als Tatsachenbehauptung gemein sind, sind direkte Angriffe gegen sie meist undankbar: Linke werden beliebig viele ad-hoc-Annahmen machen um sie zu stützen und selbst vor logischen Widersprüchen nicht halt machen. Dies ist die Ursache dafür, dass man oft den Eindruck hat Linke würden sich das analytische und differenzierte Denken abgewöhnen.
Anders verhält es sich mit dem Ansatz der Liberalen, sie bedienen sich in der Argumentation ökonomischer Modelle und deduktiven Schlüssen, die von allgemeinen Prinzipien gestützt werden, sowie historischen Beispielen. Sie gehen also davon aus, dass die Wirklichkeit Strukturen enthält, die der menschlichen Erkenntnis zugänglich sind, womit ihre implizite Erkenntnistheorie dem Realismus zuzuordnen ist. Liberale glauben Aussagen über die Welt machen zu können, die diese adäquat beschreibt, da sie sich jedoch bewusst sind, das sie nicht über alle relevanten Informationen verfügen, rechnen sie damit, das es zu Ereignissen kommt, die ihren Erwartungen widersprechen. Daher kann man weiter präzisieren, dass Liberale in der Regel hypothetische Realisten sind, die bereit sind ihr Urteil über die Welt zu revidieren. So fanden etwa der Keynesianismus und der Monetarismus ihren Niederschlag in der Entwicklung des Neoliberalismus. Daraus darf natürlich nicht gefolgert werden Liberale seinen in erster Linie Empiriker, in der Rechtsbegründung gehen sie fast ausschließlich von a priori Überlegungen aus, auch die Österreichische Schule legte wenig Wert auf empirische Fakten.
Die implizite Erkenntnistheorie der Konservativen abzuschätzen fällt am schwersten: Zum einen bewegt sich ihr Denken stark im Abstrakten, Begriffe wie Gott, Treue und Tradition spielen eine wichtige Rolle, auch das organische Staatsverständnis ist hier zu Hause, zum anderen bedient sich die konservative Argumentation primär ultraempirischer Disziplinen, wie Historie und positivem Recht. An wirtschaftlichen Fragen hat der typische Konservative kaum Interesse, meist hegt er antikapitalistische Ressentiments oder übernimmt liberale Positionen.
Die eigene Position findet der Konservative mittels empirischer Induktion: was heute richtig und geeignet ist das Leben zu bewältigen wird es auch morgen noch sein. Interessant ist hier das Fehlen theoretischer Hilfsbegriffe, wie sie beim Bilden wissenschaftlichen Hypothesen üblich sind, die der direkten Überprüfung nicht zugänglich sind. So wird aus der Nützlichkeit des Christentums, auf die der Zehn Gebote und spezieller des Tötungsverbots geschlossen und so etwa die Abtreibung verworfen, aber keine rechtstheoretischen Überlegungen dazu angestellt. Auch komplexe Konstrukte wie die Ehe oder der Staat werden nicht in ihren Bestanteilen analysiert.
Insgesamt zeichnet sich der Konservativismus durch eine Skepsis gegenüber theoretischer Überlegungen aus, hat aber keine Hemmungen sich abstrakter, komplexer Begriffe zu bedienen. Die plausibelste Erklärung dafür ist, dass sich der Konservative nicht bewusst ist, das diese Begriffe der Wahrnehmung nicht unmittelbar zugänglich ist, da z.B. das organische Staatsverständnis ihn davon abschirmen. Um die Sache zusätzlich zu komplizieren betrifft die Skepsis gegenüber dem über das Unmittelbare hinausgehende, nur die eigene Position, gegenüber politischen Gegnern bringen Konservative oft weitreichende theoretische Überlegungen an. Sie lassen sich am ehesten als radikale Empiriker beschreiben, auch wenn das das Außenverhältnis nicht richtig wiedergibt.
Nachtrag:
Aus den geschilderten Beobachtungen geht hervor, dass die Art und Weise wie die Anhänger der verschiedenen Weltanschauung Erkenntnisse gewinnen stark voneinander abweicht. Die Frage wie es dazu kommt muss ich offenlassen, fest steht jedoch, dass die jeweilige implizite Erkenntnistheorie dazu verwendet werden kann Informationen zu verwerfen, die nicht ins Weltbild passen. Dies macht den Versuch andere von seinen Ansichten zu überzeugen zu einer undankbaren Angelegenheit. Positiv ist aufgefallen, dass die liberale Art die Welt zu begreifen der wissenschaftlichen Methode und dem gesunden Menschenverstand am nächsten kommt. Dies darf nicht darüber hinweg täuschen, dass auch die großen liberalen Theoretiker häufiger Quasi-Transzendentalphilosophie betrieben, d.h. sie fragen, was die Bedingungen sind bestimmte Erfahrungen machen/auf betimmte Art handeln zu können und leiten daraus ihre Schlusse ab. (Die Österreicher und mit ihnen Rothbard und Hoppe gehen so vor.) In diesem Blog will ich dazu beitragen hier mehr Gleichgewicht zu schaffen und das empirische Fundament des Liberalismus stärker hervor treten zu lassen.