Archive for November 2012

Warum es unmoralisch ist seine eigenen Interessen zu vernachlässigen

November 28, 2012

Ich bin gerade dabei „Clean Coder“ von Robert C. Martin zu lesen. In dem Buch geht es eigentlich darum, wie Professionalität in der Software-Entwicklung aussieht, aber einige Ideen sind sehr aufschlussreich und lassen sich weiter spinnen. Eine zentrale Forderung Martins ist das ein Entwickler Verantwortung übernehmen muss. Er ist der Meinung, dass viele Probleme daher rühren, dass Entwickler nicht bereit sind sich verantwortungsvoll und professionell zu verhalten. Warum es so schwer ist Verantwortung zu übernehmen wird besonders beim Thema Nein-Sagen deutlich, dem Martin ein eigenes Kapitel gewidmet hat.

Das Thema Nein-Sagen ist so wichtig, weil Entwickler einem massiven Druck ausgesetzt sind, Zusagen zu treffen, die sie nicht einhalten können. (Zum Beispiel eine neue Funktionalität bis zu einem bestimmten Termin fertig zu stellen.) Laut Martin beugen sich viel diesem Druck, weil es als der einfachste Weg erscheint, eine Konfrontation zu vermeiden. Die Folge ist, dass diese Entwickler nicht mehr ernst genommen werden. Für sie ist es ok, denn wer nicht mehr ernst genommen wird, von dem wird die Last genommen Verantwortung zu tragen. Was aber darunter leidet, ist der Erfolg des Unternehmens, weil zum Beispiel Zeitpläne oder Zusagen gegenüber Kunden nicht eingehalten werden können.

Der Druck entsteht dadurch, dass viele Parteien ein Interesse daran haben ihre Ziele zügig umzusetzen oder selbst Zusagen gegenüber Kunden machen müssen. Der Druck entsteht nicht nur aus eigennützigen Ambitionen, sondern dient durchaus dem Gesamterfolg. Problematisch wird er da, wo ein Korrektiv fehlt. Dieses Korrektiv ist das Eigeninteresse des Entwicklers. Ob es also zu bestimmten Zusagen kommt,  hängt vom Verhandlungserfolg zwischen Entwickler und anderen Parteien ab. Dieses Vorgehen ist effizienter als die Alternativen, die darin bestünden, dass ein Vorgesetzter die Planung seiner Mitarbeiter übernimmt. Das würde den Vorgesetzen stark belasten und zu schlechteren Ergebnissen führen, weil der Entwickler am besten einschätzen kann, welche Zusagen er machen kann und welche nicht.

Dem gemeinsamen Interesse ist also dann am besten gedient, wenn die Einzelnen ihre Eigeninteressen verfolgen und in Verhandlung mit anderen Übereinstimmungen suchen. Der Grund ist, dass keine Einzelperson oder kein einzelner Funktionsträger über genügen Information verfügt, um entscheiden zu können auf welche Weise das gemeinsame Interesse am besten verfolgt werden kann. Wenn also eine Partei ihre Interessen nur unzureichend nachkommt, gehen Aspekte verloren, die das Gesamtergebnis bereichern würden.

Eine Einschränkung muss ich jedoch machen. Es gibt eine Situation in der es nicht zutrifft, dass es geboten ist seine eigenen Interessen in aller Härte zu verfolgen. Das ist, wenn eine Partei Zwang gegen die andere ausüben kann. Das gilt insbesondere auch für mittelbaren Zwang. Also wenn zum Beispiel ein Unternehmensvertreter Regulierungen zu seinen Gunsten durchsetzt. In dieser Situation führen harte Verhandlungen nicht zum besten denkbaren Ergebnis, sondern zu einem ähnlichen Ergebnis, als wenn eine Seite zu nachgiebig gewesen wäre. Um das beste mögliche Ergebnis zu erzielen ist es also notwendig auf Zwang zu verzichten.

Mimi & Eunice

November 12, 2012

Ich habe kürzlich die Mimi & Eunice – Comics von Nina Paley kennen gelernt. Die sind nicht nur lehrreich und sympathisch, sondern dürfen darüber hinaus frei verwendet werden. Wenn es also einen passenden Comic-Strip für einen Artikel gibt, werde ich jeden neuen Artikel damit illustrieren.

Ein Moralisches Dilemma?

November 12, 2012

Stellen wir uns folgende Situation vor: Wir haben ein Zusammentreffen von drei Personen. Person A besitzt eine Waffe. Person B besitzt Güter. Person C stirbt, wenn sie nicht ein Gut erhält, die B besitzt. Darüber das es moralisch geboten wäre, dass B C das Gut gibt müssen wir nicht streiten, aber was ist mit folgenden Fragen:

Hat A das Recht dazu, B zu zwingen C das Gut zu geben?

Ist es moralisch geboten das A so handelt?

Sollte sich B widersetzten, darf A B töten?

Hat B das Recht sich zu widersetzten?

Sollte sich B zu Wehr setzten und dabei A töten, war es Notwehr?

Bevor ich versuche meine abschließende Meinung zu formulieren, werde ich versuchen das Verhältnis zwischen den einzelnen Fragen zu klären. Wenn man A das Recht zubilligt Zwang gegenüber B auszuüben, macht es wenig Sinn B das Recht zuzusprechen, sich zu wehrzusetzen. Denn dann stünde der Zwang As, B zu einer Handlung zu zwingen, gegen Bs Zwang, dies A zu untersagen. Also Zwang gegen Zwang, das Recht des Stärkeren. Umgekehrt wenn man A dieses Recht nicht zubilligt, impliziert das bereits, dass wir B das Recht zusprechen, sich zu wehrzusetzen. Denn ohne das Recht Bs sich zu wehren, hat A de facto das Recht Zwang auszuüben. Die Antwort die wir auf Frage 1 geben, bestimmt also schon die Antwort auf Frage 4.

Auch Frage 4 und Frage 5 stehen in einem engen Zusammenhang. Die Prinzipen, nach denen in der orthodoxen Jura Notwehr angewendet werden darf, sind meines Erachtens überzeugend und auch in diesem Fall anzuwenden. Sollte man B das Recht zubilligen sich zu Wehr zu setzen, hat B zwar das relativ mildeste Mittel zu wählen, den Angriff sicher und endgültig abzustellen, muss sich aber nicht auf Risiken bei der Verteidigung einlassen oder die Flucht ergreifen. Also wäre es dann unter Umständen gerechtfertigt A zu töten.

Ähnlich verhalten sich Frage 1 und Frage 3. Wenn wir A das Recht zugestehen Zwang auszuüben, muss er auch das mildeste Mittel anwenden dürfen diesen sicher und endgültig durchzusetzen. Andernfalls hätten wir A de facto das Recht verweigert. Ist das mildeste Mittel B zu töten (z.B. weil B sich zu Wehr setzt), hat A das Recht dazu.

Schwieriger ist das Verhältnis zwischen Frage 1 und Frage 2. Wenn wir A das Recht verwehren Zwang auszuüben, kann der Zwang auch nicht moralisch geboten sein. Da für die meisten Menschen das Leben das höchste Gut darstellt, würden wir es wohl für geboten halten, Zwang einzusetzen, wenn das zulässig ist. Andererseits hat die Frage was moralisch geboten ist immer auch ein subjektives Element. Daher nehme ich an das es für Frage zwei keine abschließende Antwort gibt.

Wenden wir uns also Frage 1 zu. Eine naive Ansatzweise würde einfach eine Güterabwägung vornehmen. Weil das Leben das höchste Gut ist, wiegt es auch höher als die Freiheit vor Zwang. Daher ist es richtig das A Zwang gegen B ausübt. Aber einfach danach zu urteilen, was mehr Menschenleben rettet würde es letztlich erlauben, willkürlich Menschen zwecks Organentnahme zu töten, wenn damit mehrerer Menschenleben gerettet werden können. Dieses Verfahren würden die meisten wohl ablehnen, es zeigt also, dass eine einfache Güterarithmetik nicht funktioniert.

Meines Erachtens liegt Hauptgrund für die Ablehnung in der Ungerechtigkeit, die darin besteht ohne besonderen Grund manche zu töten, während andere davon kommen. Also eine Willkür vorliegt, die einen ohne jede Sicherheit zurücklässt. Ich denke das lässt sich verallgemeinern. Wenn Zwang überhaupt zulässig sein soll, muss er nach allgemeinen Regeln angewendet werden, so dass der Einzelne ihn antizipieren kann. Das spricht tendenziell dagegen, dass im Dilemmaszenario Zwang zulässig ist. Es lässt sich für einen Besitzer von Gütern nicht antizipieren, dass ausgerechnet er seine Güter abgeben soll. Das Argument ist aber noch nicht 100% überzeugend, weil man das Leben immer noch als schwerwiegender erachten kann als die Freiheit von Zwang und Willkür.

Es gibt einen wichtigen Einwand gegen die Entscheidung, das Leben höher zu gewichten, als die Freiheit vor Zwang. Welche Wirkung es hat Zwang anzuwenden, lässt sich nicht vorhersehen. Insbesondere dann nicht, wenn er nach allgemeinen Regeln angewendet wird und somit keine Möglichkeit zu einer Feinanpassung besteht. Im Szenario kann Zwang folgende Auswirkung haben: B entsteht durch die Herstellung des Guts Kosten. Wenn B sein Gut nicht kostendenkend verkaufen kann, wird er die Produktion einstellen, so dass unterm Strich alle schlechter gestellt sind. (A könnte B natürlich dazu zwingen trotz Defizit weiter zu produzieren. Das wäre in letzter Konsequenz aber nichts anderes als Sklaverei. Ich denke nicht dass das Leben schwerer wiegt, als die Freiheit über sein Leben selbst bestimmen zu dürfen, denn ohne diese Freiheit ist das Leben selbst stark entwertet.)

Dieses Problem tritt immer auf, wenn sich die Dilemmasituation regelmäßig wiederholt oder sowieso auf Dauer angelegt ist. Es ist eine Illusion zu glauben, dass die Anwendung von Zwang den Ausgang einer Situation eindeutig bestimmt. In einer Situation in der es um das Handeln Einzelner geht, kann man noch von Übersichtlichkeit ausgehen. Aber diese Übersichtlichkeit geht verloren, wenn wir uns mit Folgen von Regeln die allgemein gelten befassen. Aber gerade die Annahme, dass durch Zwang das Leben von C sicher gerettet werden kann, also keine Unübersichtlichkeit vorliegt, liegt der Abwägung von Leben und Freiheit zugrunde. Ohne genaue Einsicht in die Beschaffenheit der Welt lässt sich eine solche Güterabwägung also gar nicht vornehmen.

Es bleiben also zwei Möglichkeiten. Erstens man versucht die Regeln mit der Zeit immer weiter zu verbessern, damit sie der Beschaffenheit der Welt immer besser gerecht werden. Das ist aber mit dem Problem verbunden, dass die Regeln in Teilen immer ungerecht sein werden und immer ein Dissens darüber herrschen wird wie die Welt nun im Einzelnen beschaffen ist und folglich immer auch ein Dissens über die Regeln selbst. Oder Zweitens man erklärt Zwang unter allen Umständen für nicht gerechtfertigt.

Verlieren wir allzu viel wenn wir auf Zwang verzichten? Ich denke nicht. Um in Szenario zu bleiben: A kann nur dann Zwang gegen B ausüben, wenn das legitim ist, also dem Leben allgemein ein so hoher Wert zugemessen  wird, dass er auch die Sicherheit aussticht frei von Zwang zu sein. In so einer Situation ist es jedoch auch möglich Schutz für das Leben zu organisieren, ohne auf Zwang zurückgreifen zu müssen.