Von konservativer Seite wird hin und wieder Kritik am Liberalismus geübt, in diesem Beitrag, will ich mich mit einer solchen auseinander setzten. Ich stütze mich hier zum einen auf die Schrift Armin Mohlers „Gegen die Liberalen“ zum anderen auf zwei Blogbeiträge unseres Lieblingskonservativen Manfred Kleine-Hartlage, der eine stellt eine Rezension Mohlers Schrift dar, der andere einen Ausschnitt aus Manfreds neuem Buchprojekt. Auch CK hat sich mit diesen Kritiken beschäftigt.
Sowohl Manfred als auch Mohler werfen dem Liberalismus vor im Grunde totalitär zu sein, dies leite sich aus dem Umstand ab, dass er sich auf universelle Prinzipien berufe. Mohlers Kritik ist darüber hinaus eine dialektische, er verkürzt den Liberalismus nicht auf einen angeblichen Totalitarismus, sondern auf die Alternative zwischen einer Gesellschaft, die totalitär von bestimmten Prinzipien durchdrungen ist und einer dysfunktionalen Gesellschaft, die von mafiaartigen Strukturen beherrscht wird. Allein Konservatives Denken und Handeln zeige den Ausweg aus dieser Alternative zwischen „Gulag und Mafia“.
Dem Liberalismus werfen sie vor nicht auf empirischen Tatsachen, sondern ausschließlich auf Normativen Ideen zu beruhen. Dieser führe zu einem Utopischem Denken (Manfred). Der vom Liberalismus verleugnete Gedanke sei, dass die „Freiheit nicht ihre eigenen kulturellen Voraussetzungen hervorbringen kann, dass diese historisch gewachsen sind und vom Liberalismus als politischer Ideologie höchstens zerstört werden können.“ Mohler dazu: „Das eigentliche Problem des Liberalismus ist, daß eine liberale Praxis nur möglich ist, wenn gewisse Traditionsbestände an Gewohnheiten und tief eingerasteten Sitten noch vorhanden sind, mit deren Hilfe die Gesellschaft ihre Schwierigkeiten meistert.“ Nach Manfred werden empirische Tatsachen, die gegen den Liberalismus sprächen nicht nur ignoriert, sondern aus dem Diskurs verdrängt.
Mohlers nennt das angebliche Problem Intelligibilitätswahn, die Liberalen betrachten das Individuum nicht konkret, sondern abstrakt ohne seinen Kontext. Nach Mohler sind im Liberalismus alle Probleme auflösbar, Dilemmata kämen nicht vor. Oder Manfred: „Die wirklichkeitsfremde Missachtung des sozialen Kontexts, in dem individuelle Handlungen stehen und von dem sie abhängig sind, ist eine Schwäche, die das liberale Denken mit seinem individualistischen Ansatz bis heute nicht überwunden hat.“ Die M&M’s verschärfen ihre Kritik dahin, dass sie dem Liberalismus eine Feindschaft gegen die bestehenden Bindungen unterstellen.
Stabilisiert werde dieses Denken durch eine Beweislastumkehr, das Bewährte müsse sich nun am Normensystem der Links-Liberalen Metaideologie messen. Dieses sei jedoch selbst einem Rechtfertigungszwangs enthoben. Die Gesellschaft werde vom Standpunkt der Utopie beurteilt, ungeachtet ihrer Realisierbarkeit.
Das Denken in abstrakten führe dazu, dass die konkreten Bindungen der Menschen beseitigt werden müssten.
Das Denken in abstrakten Ordnungen, verbunden mit dem Universalismus, lässt unterhalb der Ebene der Menschheit keine partikularen Gruppenloyalitäten zu, es sei denn, diese wären ihrerseits durch die Bezugnahme auf ein abstraktes Ordnungsideal definiert, wie etwa die „westliche Wertegemeinschaft“.
Beide Ideologien [Marxismus und Liberalismus] kritisieren hergebrachte, nicht freiwillig eingegangene soziale Bindungen, etwa an Volk, Familie und Kirche, wegen des ihnen innewohnenden Moments von Herrschaft und Unfreiheit und betrachten sie insofern als zerstörenswert.
Die Bedürfnisse würden in legitime und illegitime eingeteilt, da liberale eine binäre Logik zugrunde legten, wonach alle sozialen Beziehungen emanzipatorischen Idealen zu genügen und anderenfalls zu verschwinden haben. Allerdings greift Manfred selbst auf binäre Logik zurück:
Statt zuzugeben, dass man nicht alles gleichermaßen tolerieren kann, und dass die Toleranz gegenüber dem einen seine notwendige Kehrseite in der Intoleranz gegenüber dem Entgegengesetzten hat, flüchtet er sich in die Konstruktion, er sei ja nur intolerant gegnüber [Sic!] der Intoleranz.
Mohler meint zwei Liberale ausgemacht zu haben (Dudek und Jaschke, keine Ahnung wer das sein soll), die zur Bekämpfung einer konservativen Wertetafel aufrufen. Genannt werden die Werte: “Vaterland – Ordnung -Ehre – Reinheit – Fortschritt – Moral – Nation – Heimat -Treue – Boden – Sitte – Kraft – Reich – Natur – Wachstum – Anstand – Kameradschaft” Dass man sich mit diesen Werten auch als Liberaler identifizieren kann, hat schon CK gezeigt.
Die M&M’s gehen davon aus das sich die Liberalen in besonderer Feindschaft zu den Konservativen befänden, da sie mit den Linken ähnliche Ziele teilen würden. Dies machen sie auch daran fest, dass sich Liberale an dem einseitigen Kampf gegen Rechts beteiligten. Für Manfred bilden Marxismus und Liberalismus ein Oligopol, da der Imperativ „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen sei“ für Liberale zustimmungsfähig sei. Mit der Einschränkung, dass „Für den Liberalen […] die Emanzipation des Menschen bereits dann verwirklicht [ist], wenn er frei von Zwang, speziell von staatlichem Zwang ist.“
Diese Kritik ist sehr ausführlich, so dass es schwer fällt zu entscheiden, wo ich mit meiner Erwiderung anfangen soll. Der Einfachheit halber gehe ich von hinten nach vorne vor. Die Nähe von Linken und Liberalen die Manfred und Mohler zu sehen glauben ist natürlich eine Illusion, wie sonst ist zu erklären, dass der organisierte Liberalismus nicht mit den Linken Parteien koaliert, sondern mit der CDU, der einzigen nicht-linken Alternative? Auch ist der Kampf gegen den Faschismus kein typisch liberales Projekt, vielmehr sieht der Liberalismus sein Feindbild in allen Spielarten des Totalitarismus. Das lässt sich auch in den Initiativen gegen Linksextremismus erkennen, die von der liberalen Parteipolitik ausgehen. Damit fallen weite Teile der konservativen Argumentation zusammen, insbesondere die Mohlers, dem zufolge unter dem Deckmantel des Antifaschismus Liberale versuchen das konservative Lebensgefühl zu vernichten.
Es gibt keine besondere Nähe zwischen Liberalismus und Linke. Es gibt zwar gemeinsame Elemente, die beide von dem Konservativismus unterscheiden, aber es gibt genauso gemeinsame Elemente zwischen Linke und Konservativismus, die beide vom Liberalismus trennen, wie die die Skepsis gegenüber allgemeingültiger Theorien. Und auch Konservativismus und Liberalismus haben Gemeinsamkeiten, durch die sie sich von der Linken abgrenzen, etwa die Verantwortung des Einzelnen.
Kommen wir zum Kritikpunkt, dass der Abstrakte Ansatz des Liberalismus diesen, in Konflikt mit den konkreten Bindungen bringt. Hier gelingt es Manfred und Mohler nicht, das Liberale Denken nachzuvollziehen. Der Liberalismus beschäftigt sich nicht mit den konkreten Bindungen, soweit liegen M&M richtig, aber er tut das nicht weil sein Menschenbild von bindungsfreien Einzelnen ausgeht, sondern weil die Frage nach den konkreten Bindungen für den Liberalen keine politische Relevanz hat. Als Mensch habe ich natürlich eine Meinung zu Familie, Deutschland und zur Religion, aber diese Meinungen stehen nicht mit dem im Zusammenhang, was ich als Liberaler politisch fordere. Das liberale Denken bewegt sich auf einer ganz anderen Ebene wie das konservative.
Manfred würde auf diesen Punkt wahrscheinlich antworten, dass in der Frage nach den konkreten Bindungen keine Neutralität geben kann, da er einer binären Logik unterliegt, die er auf die Liberalen projiziert. Zur Erinnerung Manfred glaubt, „dass die Toleranz gegenüber dem einen seine notwendige Kehrseite in der Intoleranz gegenüber dem Entgegengesetzten hat.“ Das ist natürlich falsch, es ist sehr wohl möglich sowohl die Lesben/Schwulen-Szene als auch die Katholisch Kirche zu tolerieren, und ihre selbstgesetzten Regeln zu akzeptieren, solange ein Austritt möglich ist. Wie ich Manfred kenne wird er am letzten Punkt, der Frage nach der Austrittsmöglichkeit, einhacken. Bestimmte Strukturen wie Familie oder Volk könnten nur dann bestehen, wenn es eine Austrittsmöglichkeit nicht gibt.
Dieser Kritikpunkt ist äußerst interessant und verweist auf die möglicherweise tiefste Differenz zwischen Liberalen und Konservativen. Als sich Familie und Volk gebildet haben, gab es keine auf Zwang beruhenden Austrittsbarrieren, sondern es war ökonomische Notwendigkeit, die dazu motivierte in diesen Strukturen zu verbleiben. Mit dem ökonomischen Fortschritt sind diese Notwendigkeiten weggefallen. Der Wandel von Familie und Volk wird von Konservativen oft nicht mit dem sich ändernden ökonomischen Hintergrund erklärt, sondern mit sich ändernden Ideologien, insbesondere dem Einfluss der 68er Generation. Liberale würden den Wandel damit erklären, dass die Veränderung von Familie und Volk dazu dienten besser mit den sich wandelnden Rahmenbedingung zurechtzukommen. Diese Veränderungen aufzuhalten würde bedeuten, in dysfunktionalen Strukturen zu verbleiben. Das Verweigern von Austrittsmöglichkeiten ist daher nicht nur aus normativen Gründen abzulehnen.
So kommt es das Manfred einen Satz formuliert der von Liberalen tatsächlich unterschierieben werden könnte: „Der Gedanke, dass das Hergebrachte eine – jeweils kultur- und gesellschaftsspezifische – evolutionär bewährte Lösung des existenziellen Problems darstellen könnte, wie ein friedliches und geordnetes Zusammenleben von Menschen zu gewährleisten ist, kann vor dem Hintergrund einer Utopie kaum noch gedacht werden.“ Aber die Einschränkung übersieht, dass wenn sich die Rahmenbedingungen ändern, sich auch das Hergebrachte ändern muss.
Wir sind am letzten Kritikpunkt angelangt, liberales Denken missachte empirische Tatsachen. Hier muss man zunächst anmerken, dass keine Weltanschauung davor gefeit ist, sich vor Empirie zu immunisieren. Die Linke hat ihre Spinner die glaubt, alles Unheil ließe sich auf den Westen zurückführen und etwa glaubt, der Zusammenbruch der Wirtschaft in Zimbabwe sei auf westliche Handelsbeschränkungen zurückzuführen. Auch Konservative biegen sich die Wirklichkeit oft so zurecht wie sie sie haben wollen. Siehe etwa der Versuch oben dem Liberalismus einen Antifaschismus zu unterstellen.
Auch die Interpretation der Liberalismus stütze sich ausschließlich auf normative Urteile geht fehl. Wenn man sich die Veröffentlichung von liberalen Think-Tanks ansieht, wird man feststellen, dass Empirie einen sehr hohen Stellenwert hat. Der Unterschied zum Konservativismus besteht darin, dass die Empirie herangezogen wird um den Wert bestimmter Theorien zu beurteilen, während der Konservativismus meint auf Theorien mit universeller Geltung verzichten zu können und glauben das man alles in seinem singulären Kontext verstehen muss.
Meines Erachtens ermöglicht erst Theoriebildung und ihr Abgleich mit der Wirklichkeit einen Erkenntnisfortschritt. Eine Theorie ist nur dann glaubwürdig, wenn sie nicht widerlegt wurde, obwohl sie so weitgehende Aussagen macht, dass zu ihrer Wiederlegung viele Ansatzpunkte bestehen. Die Vorstellungen auf die Konservative zurückgreifen, verfügen gezwungenermaßen nicht über genügend Ansatzpunkte zur Wiederlegung um glaubwürdig zu sein. Die Aussage das liberale Wirtschaftspolitik überall positive Auswirkungen hat, würde ein Konservativer so nicht treffen, sie wäre ihm zu riskant. Der Verzicht auf allgemeine Aussagen, ist meines Erachtens eine der größten Schwächen des Konservativismus.
Wir haben also gesehen, dass die Kritik Mohlers und Manfreds am Liberalismus diesen an allen Stellen verfehlt. Weder besteht die übermäßige Nähe zur Linken, die sie herbei phantasieren, noch geht es dem Liberalismus darum bestimmte Lebensweisen oder Lebensgefühle zu bekämpfen. Zwar haben sie richtig erkannt, dass der Liberalismus allgemeingültige Aussagen macht und vom konkreten Einzelnen abstrahiert, aber dies hat nicht die Folgen die sie glauben. Der Liberalismus bleibt durch empirische Tatsachen angreifbar. Die Kritik der Konservativen zeigt im Endeffekt lediglich die Schwächen des Konservativismus selbst auf, die Unfähigkeit sich auf pluralistisches Denken einzulassen und das Zurückschrecken davor allgemeingültige Aussagen zu treffen.