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Warum es unmoralisch ist seine eigenen Interessen zu vernachlässigen

November 28, 2012

Ich bin gerade dabei „Clean Coder“ von Robert C. Martin zu lesen. In dem Buch geht es eigentlich darum, wie Professionalität in der Software-Entwicklung aussieht, aber einige Ideen sind sehr aufschlussreich und lassen sich weiter spinnen. Eine zentrale Forderung Martins ist das ein Entwickler Verantwortung übernehmen muss. Er ist der Meinung, dass viele Probleme daher rühren, dass Entwickler nicht bereit sind sich verantwortungsvoll und professionell zu verhalten. Warum es so schwer ist Verantwortung zu übernehmen wird besonders beim Thema Nein-Sagen deutlich, dem Martin ein eigenes Kapitel gewidmet hat.

Das Thema Nein-Sagen ist so wichtig, weil Entwickler einem massiven Druck ausgesetzt sind, Zusagen zu treffen, die sie nicht einhalten können. (Zum Beispiel eine neue Funktionalität bis zu einem bestimmten Termin fertig zu stellen.) Laut Martin beugen sich viel diesem Druck, weil es als der einfachste Weg erscheint, eine Konfrontation zu vermeiden. Die Folge ist, dass diese Entwickler nicht mehr ernst genommen werden. Für sie ist es ok, denn wer nicht mehr ernst genommen wird, von dem wird die Last genommen Verantwortung zu tragen. Was aber darunter leidet, ist der Erfolg des Unternehmens, weil zum Beispiel Zeitpläne oder Zusagen gegenüber Kunden nicht eingehalten werden können.

Der Druck entsteht dadurch, dass viele Parteien ein Interesse daran haben ihre Ziele zügig umzusetzen oder selbst Zusagen gegenüber Kunden machen müssen. Der Druck entsteht nicht nur aus eigennützigen Ambitionen, sondern dient durchaus dem Gesamterfolg. Problematisch wird er da, wo ein Korrektiv fehlt. Dieses Korrektiv ist das Eigeninteresse des Entwicklers. Ob es also zu bestimmten Zusagen kommt,  hängt vom Verhandlungserfolg zwischen Entwickler und anderen Parteien ab. Dieses Vorgehen ist effizienter als die Alternativen, die darin bestünden, dass ein Vorgesetzter die Planung seiner Mitarbeiter übernimmt. Das würde den Vorgesetzen stark belasten und zu schlechteren Ergebnissen führen, weil der Entwickler am besten einschätzen kann, welche Zusagen er machen kann und welche nicht.

Dem gemeinsamen Interesse ist also dann am besten gedient, wenn die Einzelnen ihre Eigeninteressen verfolgen und in Verhandlung mit anderen Übereinstimmungen suchen. Der Grund ist, dass keine Einzelperson oder kein einzelner Funktionsträger über genügen Information verfügt, um entscheiden zu können auf welche Weise das gemeinsame Interesse am besten verfolgt werden kann. Wenn also eine Partei ihre Interessen nur unzureichend nachkommt, gehen Aspekte verloren, die das Gesamtergebnis bereichern würden.

Eine Einschränkung muss ich jedoch machen. Es gibt eine Situation in der es nicht zutrifft, dass es geboten ist seine eigenen Interessen in aller Härte zu verfolgen. Das ist, wenn eine Partei Zwang gegen die andere ausüben kann. Das gilt insbesondere auch für mittelbaren Zwang. Also wenn zum Beispiel ein Unternehmensvertreter Regulierungen zu seinen Gunsten durchsetzt. In dieser Situation führen harte Verhandlungen nicht zum besten denkbaren Ergebnis, sondern zu einem ähnlichen Ergebnis, als wenn eine Seite zu nachgiebig gewesen wäre. Um das beste mögliche Ergebnis zu erzielen ist es also notwendig auf Zwang zu verzichten.

Ein Moralisches Dilemma?

November 12, 2012

Stellen wir uns folgende Situation vor: Wir haben ein Zusammentreffen von drei Personen. Person A besitzt eine Waffe. Person B besitzt Güter. Person C stirbt, wenn sie nicht ein Gut erhält, die B besitzt. Darüber das es moralisch geboten wäre, dass B C das Gut gibt müssen wir nicht streiten, aber was ist mit folgenden Fragen:

Hat A das Recht dazu, B zu zwingen C das Gut zu geben?

Ist es moralisch geboten das A so handelt?

Sollte sich B widersetzten, darf A B töten?

Hat B das Recht sich zu widersetzten?

Sollte sich B zu Wehr setzten und dabei A töten, war es Notwehr?

Bevor ich versuche meine abschließende Meinung zu formulieren, werde ich versuchen das Verhältnis zwischen den einzelnen Fragen zu klären. Wenn man A das Recht zubilligt Zwang gegenüber B auszuüben, macht es wenig Sinn B das Recht zuzusprechen, sich zu wehrzusetzen. Denn dann stünde der Zwang As, B zu einer Handlung zu zwingen, gegen Bs Zwang, dies A zu untersagen. Also Zwang gegen Zwang, das Recht des Stärkeren. Umgekehrt wenn man A dieses Recht nicht zubilligt, impliziert das bereits, dass wir B das Recht zusprechen, sich zu wehrzusetzen. Denn ohne das Recht Bs sich zu wehren, hat A de facto das Recht Zwang auszuüben. Die Antwort die wir auf Frage 1 geben, bestimmt also schon die Antwort auf Frage 4.

Auch Frage 4 und Frage 5 stehen in einem engen Zusammenhang. Die Prinzipen, nach denen in der orthodoxen Jura Notwehr angewendet werden darf, sind meines Erachtens überzeugend und auch in diesem Fall anzuwenden. Sollte man B das Recht zubilligen sich zu Wehr zu setzen, hat B zwar das relativ mildeste Mittel zu wählen, den Angriff sicher und endgültig abzustellen, muss sich aber nicht auf Risiken bei der Verteidigung einlassen oder die Flucht ergreifen. Also wäre es dann unter Umständen gerechtfertigt A zu töten.

Ähnlich verhalten sich Frage 1 und Frage 3. Wenn wir A das Recht zugestehen Zwang auszuüben, muss er auch das mildeste Mittel anwenden dürfen diesen sicher und endgültig durchzusetzen. Andernfalls hätten wir A de facto das Recht verweigert. Ist das mildeste Mittel B zu töten (z.B. weil B sich zu Wehr setzt), hat A das Recht dazu.

Schwieriger ist das Verhältnis zwischen Frage 1 und Frage 2. Wenn wir A das Recht verwehren Zwang auszuüben, kann der Zwang auch nicht moralisch geboten sein. Da für die meisten Menschen das Leben das höchste Gut darstellt, würden wir es wohl für geboten halten, Zwang einzusetzen, wenn das zulässig ist. Andererseits hat die Frage was moralisch geboten ist immer auch ein subjektives Element. Daher nehme ich an das es für Frage zwei keine abschließende Antwort gibt.

Wenden wir uns also Frage 1 zu. Eine naive Ansatzweise würde einfach eine Güterabwägung vornehmen. Weil das Leben das höchste Gut ist, wiegt es auch höher als die Freiheit vor Zwang. Daher ist es richtig das A Zwang gegen B ausübt. Aber einfach danach zu urteilen, was mehr Menschenleben rettet würde es letztlich erlauben, willkürlich Menschen zwecks Organentnahme zu töten, wenn damit mehrerer Menschenleben gerettet werden können. Dieses Verfahren würden die meisten wohl ablehnen, es zeigt also, dass eine einfache Güterarithmetik nicht funktioniert.

Meines Erachtens liegt Hauptgrund für die Ablehnung in der Ungerechtigkeit, die darin besteht ohne besonderen Grund manche zu töten, während andere davon kommen. Also eine Willkür vorliegt, die einen ohne jede Sicherheit zurücklässt. Ich denke das lässt sich verallgemeinern. Wenn Zwang überhaupt zulässig sein soll, muss er nach allgemeinen Regeln angewendet werden, so dass der Einzelne ihn antizipieren kann. Das spricht tendenziell dagegen, dass im Dilemmaszenario Zwang zulässig ist. Es lässt sich für einen Besitzer von Gütern nicht antizipieren, dass ausgerechnet er seine Güter abgeben soll. Das Argument ist aber noch nicht 100% überzeugend, weil man das Leben immer noch als schwerwiegender erachten kann als die Freiheit von Zwang und Willkür.

Es gibt einen wichtigen Einwand gegen die Entscheidung, das Leben höher zu gewichten, als die Freiheit vor Zwang. Welche Wirkung es hat Zwang anzuwenden, lässt sich nicht vorhersehen. Insbesondere dann nicht, wenn er nach allgemeinen Regeln angewendet wird und somit keine Möglichkeit zu einer Feinanpassung besteht. Im Szenario kann Zwang folgende Auswirkung haben: B entsteht durch die Herstellung des Guts Kosten. Wenn B sein Gut nicht kostendenkend verkaufen kann, wird er die Produktion einstellen, so dass unterm Strich alle schlechter gestellt sind. (A könnte B natürlich dazu zwingen trotz Defizit weiter zu produzieren. Das wäre in letzter Konsequenz aber nichts anderes als Sklaverei. Ich denke nicht dass das Leben schwerer wiegt, als die Freiheit über sein Leben selbst bestimmen zu dürfen, denn ohne diese Freiheit ist das Leben selbst stark entwertet.)

Dieses Problem tritt immer auf, wenn sich die Dilemmasituation regelmäßig wiederholt oder sowieso auf Dauer angelegt ist. Es ist eine Illusion zu glauben, dass die Anwendung von Zwang den Ausgang einer Situation eindeutig bestimmt. In einer Situation in der es um das Handeln Einzelner geht, kann man noch von Übersichtlichkeit ausgehen. Aber diese Übersichtlichkeit geht verloren, wenn wir uns mit Folgen von Regeln die allgemein gelten befassen. Aber gerade die Annahme, dass durch Zwang das Leben von C sicher gerettet werden kann, also keine Unübersichtlichkeit vorliegt, liegt der Abwägung von Leben und Freiheit zugrunde. Ohne genaue Einsicht in die Beschaffenheit der Welt lässt sich eine solche Güterabwägung also gar nicht vornehmen.

Es bleiben also zwei Möglichkeiten. Erstens man versucht die Regeln mit der Zeit immer weiter zu verbessern, damit sie der Beschaffenheit der Welt immer besser gerecht werden. Das ist aber mit dem Problem verbunden, dass die Regeln in Teilen immer ungerecht sein werden und immer ein Dissens darüber herrschen wird wie die Welt nun im Einzelnen beschaffen ist und folglich immer auch ein Dissens über die Regeln selbst. Oder Zweitens man erklärt Zwang unter allen Umständen für nicht gerechtfertigt.

Verlieren wir allzu viel wenn wir auf Zwang verzichten? Ich denke nicht. Um in Szenario zu bleiben: A kann nur dann Zwang gegen B ausüben, wenn das legitim ist, also dem Leben allgemein ein so hoher Wert zugemessen  wird, dass er auch die Sicherheit aussticht frei von Zwang zu sein. In so einer Situation ist es jedoch auch möglich Schutz für das Leben zu organisieren, ohne auf Zwang zurückgreifen zu müssen.

Werden Euro-Zweifler jetzt saraziniert?

November 30, 2010

Unter der Überschrift „Henkel gibt den Euro-Sarrazin“ meldete am Freitag Spiegel-Online:

Zurück zur D-Mark, Euro abschaffen? Hans Eichel, Guido Westerwelle und sogar Oskar Lafontaine versuchten bei Maybrit Illner, der Krisenpanik Einhalt zu gebieten. Schließlich riss Hans-Olaf Henkel die Show an sich: Er sehnt sich nach einer Art Groß-Preußen, das den Süden nicht länger durchfüttern muss.

Die Meldung bezieht sich auf eine Sendung von Maybrit Illner in der Hans-Olaf Henkel für eine Aufspaltung der Währungsunion in einen Starkwährungsraum und einen Schwachwährungsraum plädiert hatte. Der Vorschlag geht meines Erachtens nicht weit genug, weil fundamentale Probleme, wie die langfristigen Auswirkungen staatlicher Zinspolitik, nicht gelöst werden. Aber er stellt gegenüber dem Status Quo eine Verbesserung dar, denn zum einen fällt der schmerzhafte Konvergenzprozess innerhalb der Eurozone weg und zum anderen kann die Geldpolitik besser in den institutionellen Rahmen eines Staates eingefügt werden. Der Letzte Punkt ist auch das Argument mit dem Henkel argumentiert.

Den radikalen Eurobefürwortern gilt jedoch der Umstand, dass es Unterschiede in den institutionellen Rahmen gibt bereits als nationalistisch. Dass der griechische Staat auf eine effektive Besteuerung  verzichtet und versucht die Einnahmelücke mit Seigniorage zu kompensieren, wird als Wesenszug der Griechen aufgefasst. Das Sprechen über unterschiedliche institutionelle Rahmen wird als Denken in nationalen Kategorien tabuisiert.  So Spiegel-Online über Henkel:

Er schwadronierte von Völkern mit bestimmten Eigenschaften. Warum sollte sich das nicht auf die Finanzpolitik eines Landes übertragen lassen? Wer nicht nach unseren Regeln spielt, so bellte es den Talkshow-Zuschauern vor ein paar Wochen noch entgegen, gehört abgeschoben. Jetzt, fließender Übergang, sollen die Pleite-Griechen mindestens raus aus der Währungsunion.

Diese Art der Kritik ist perfide und irrleitend. Sie ist irrleitend, weil sie impliziert, dass man sich um die drängenden ökonomischen Fragen dieser Zeit drücken kann, wenn man rein moralisch argumentiert. Wenn das Gute gewollt ist, spielt es keine Rolle welche Folgen das Handeln hat und daher ist es unnötig sich mit Alternativen auseinander zu setzten. Eine solche Moral ist in ihrem Kern egoistisch, sie kreist um sich selbst und ist nicht bereit sich auf das fremde einzulassen. Aus Angst davor vom Konsens abzuweichen, versucht man die Fragen zu vermeiden, die ihn in Zweifel ziehen könnten und verzichtet darauf die Folgen des eignen Handelns zu evaluieren.

Die Kritik an Henkel ist perfide, weil ihm niedere Motive unterstellt werden, um die inhaltliche Auseinandersetzung mit ihm zu vermeiden. Die Tatsache, dass es unterschiedliche finanzpolitische Stile gibt, die im Rahmen des Euros mehr oder weniger gut funktionieren, wird ignoriert, stattdessen wird der Hinweis auf diese Tatsache moralisch verurteilt.

Zu dieser Unredlichkeit gesellt sich ein gehöriges Maß an Doppelmoral. Was Henkel angelastet wird, ist dass er die Finanzpolitik die in Deutschland betrieben wurde und die Werte, mit der man diese verknüpfen kann, für funktionaler hält, als diejenigen in Griechenland. Der Export der als neoliberal geltenden Finanzpolitik wird als Verdrängungskampf deutscher gegen griechische Wesenszüge wahrgenommen, sprich als Chauvinismus. Wäre aber eine Finanzpolitik betrieben worden, die den Kritikern eher zusagt, was lediglich darauf hinauslaufen würde alle bestehenden Verschuldungsspielräume auch zu nutzten, fiele ihnen im Traum nicht ein ihren Export mit Chauvinismus in Verbindung zu bringen.

Ähnliche Reflexe wie die Position Henkels löst der Unmut aus, den der Bail-out der Krisenstaaten hervorruft. Es gilt schon als nationalistisch gesinnt, wer der Meinung ist, dass die finanziellen Belastungen der Steuerzahler zugunsten von Griechenland nicht gerechtfertigt sind, da der griechische Staat die Verantwortung für seine Politik selbst tragen muss. Die Sorge um den eigenen Wohlstand, ist nach dieser Denkart kein legitimes Anliegen. Das Zweifeln an der europäischen Solidarität amoralisch.

Wer Solidarität so auffasst, dass die Interessen als Einzelne neben ihr keinen Platz haben, missbraucht diesen Begriff als Waffe, um die eigenen Vorstellungen anderen aufzuzwingen. Eine Moral, die einen nötigt die eigenen Interessen aufzugeben, pervertiert den Sinn einer Moral.

Was soll nicht alles Meine Sache sein!

Juni 3, 2010

Was soll nicht alles Meine Sache sein! Vor allem die gute Sache, dann die Sache Gottes, die Sache der Menschheit, der Wahrheit, der Freiheit, der Humanität, der Gerechtigkeit; ferner die Sache Meines Volkes, Meines Fürsten, Meines Vaterlandes; endlich gar die Sache des Geistes und tausend andere Sachen. Nur Meine Sache soll niemals Meine Sache sein. »Pfui über den Egoisten, der nur an sich denkt!«

(…)

Ich brauche gar nicht an jedem, der seine Sache Uns zuschieben möchte, zu zeigen, daß es ihm nur um sich, nicht um Uns, nur um sein Wohl, nicht um das Unsere zu tun ist. Seht Euch die Übrigen nur an. Begehrt die Wahrheit, die Freiheit, die Humanität, die Gerechtigkeit etwas anderes, als daß Ihr Euch enthusiasmiert und ihnen dient?

(…)

Und an diesen glänzenden Beispielen wollt Ihr nicht lernen, daß der Egoist am besten fährt? Ich Meinesteils nehme Mir eine Lehre daran und will, statt jenen großen Egoisten ferner uneigennützig zu dienen, lieber selber der Egoist sein.

(…)

Fort denn mit jeder Sache, die nicht ganz und gar Meine Sache ist! Ihr meint, Meine Sache müsse wenigstens die »gute Sache« sein? Was gut, was böse! Ich bin ja selber Meine Sache, und Ich bin weder gut noch böse. Beides hat für Mich keinen Sinn.

Das Göttliche ist Gottes Sache, das Menschliche Sache »des Menschen«. Meine Sache ist weder das Göttliche noch das Menschliche, ist nicht das Wahre, Gute, Rechte, Freie usw., sondern allein das Meinige, und sie ist keine allgemeine, sondern ist – einzig, wie Ich einzig bin.

Mir geht nichts über Mich!

Das Zitat stammt aus der Einleitung zu Max Stirners „der Einzige und sein Eigentum“. Wie unschwer zu erkennen ist, geht es Stirner um die Emanzipation des Einzelnen von übergeordneten Ideen. Würden wir besser fahren, wenn es keine übergeordneten Ideen gebe, wie Stirner es behauptet? Man denke einerseits an alle irrationalen Ängste, Konflikte und Hemmungen, die wir übergeordneten Ideen zu verdanken haben. Andererseits wie kann ein Kind lernen auf andere in angemessener Weise einzugehen, wenn es keine übergeordneten Ideen gibt, die als moralische Motivation dienen?

Gedanken zu Mai-HiME

September 28, 2009

Ein großer Fan von Animes wird über kurz oder lang über Mai-HiME, eine Serie aus dem magical Girls Genre, stolpern. Obwohl sie eher der seichten Unterhaltung und nicht der anspruchsvollen zuzurechnen ist, enthält die Handlung einige Elemente, über die es sich lohnt Gedanken zu machen. Das Konzept der Serie ist denkbar einfach, baue in einem ersten Teil die Charaktere auf bis sie dem Zuschauer so richtig ans Herz gewachsen sind und räume sie in einem zweiten Teil einen nach dem anderen ab.

Zugegeben der erste Teil (Die Folgen 1 bis 12 oder 13) hat seine Längen und wäre nur durchschnittlich, wenn nicht der Soundtrack einiges hermachen würde (Yuki Kajiura!). Im zweiten Teil gewinnt die Serie jedoch deutlich an Dramatik und Tiefe. Um die einzelnen Charaktere abzuräumen entfalten sich eine Reihe interessanter Konflikte. Einer dieser Konflikte ist der Grund dafür, dass ich über Mai-HiME schreibe.

Wahrscheinlich ist schon jeder mit Interesse an philosophischen Fragen auf folgendes Paradox gestoßen: Ein Altruist bezieht sein Wohlergehen aus dem Glück anderer Menschen. Wenn nun jeder Altruist wäre, um wen müssten sich die Menschen kümmern? Tatsächlich wäre das der Punkt, an dem sich der Altruismus spätestens selbst aufhängen würde. Obwohl ich diese Argumentation logisch für vollkommen überzeugen halte, konnte ich mir keine Situation vorstellen in der dieses Problem tatsächlich relevant würde. Bis ich Mai-HiME gesehen haben. Dort kommt die Beziehung der Hauptprotagonistin, Mai Tokiha, zu ihrem Bruder Takumi dem Scenario des Paradoxes erstaunlich nahe.

Die Geschichte von Mai und Takumi trägt zum Dramafaktor der Serie bei. Sie verloren in der Kindheit ihre Eltern und wäre das nicht genug leidet Takumi an einer Herzkrankheit die ihn körperlich anfällig und von regelmäßiger Medikamenteneinnahme abhängig macht. Abhilfe verspricht allein eine teure Operation in einer amerikanischen Spezialklink. Mai glaubt die Schuld an dem Zustand ihres Bruders zu haben und opfert den größten Teil ihrer freien Zeit, um Nebenjobs anzunehmen, die das für die Operation nötige Geld einbringen sollen. In der Serie wird hervorragend dargestellt mit welchen Entbehrungen Mai in dieser Situation zu kämpfen hat. Obwohl sie äußerlich immer gut gelaunt wirkt, ist sie innerlich verzweifelt. Als Tkumis Operation schließlich möglich wird, zögert er, sehr zu Mais Überraschung. Er weiß um Mais Seelenzustand und verurteilt sich für die Belastung, die seine Existenz für Mai bedeutet. Als Mei davon erfährt ist sie dem Zusammenbruch nahe; ihr harter Kampf erscheint vergeblich und kontraproduktiv gewesen zu sein. Die Dinge kommen zu einer guten Wendung als es einem Freund gelingt Takumi davon zu überzeugen,  dass er es wert sei weiterzuleben.

Mai und Takumi sind sich gegenseitig so wichtig, dass sie auf ihr eigenes Glück verzichten, wenn es für das Wohlergehen des anderen nötig ist. Aber anstatt das es sie einander stärkt, würde diese Art Beziehung in eine Katastrophe führen, wenn nicht beide fähig wären sich selbst etwas gönnen (was in der Serie sicherlich besser dargestellt ist als ich es hier beschreiben kann).

Mai-HiME ist eine Serie, die man sich ansehen sollte, wenn man die Gelegenheit dazu hat. Die Charaktere sind, obwohl sie auf den gängigen Animeklischees aufbauen, sehr glaubwürdig. Die Motive einiger von ihnen fordern das moralische Urteilsvermögen des Zuschauers heraus, ein Charakter demonstriert das destruktive Potential eines manichäischen  Weltbilds. Vielleicht hat mir das Anime auch wegen seiner liberalen Botschaften so gut gefallen.

Manipulative Charaktere – Vier, Der Anwalt

Februar 9, 2009

Neulich hatte ich mit einem Kollegen eine äußerst unerfreuliche Auseinandersetzung. Mein Kollege ist was Essen angeht etwas eigen und kann es z.B. nicht vertragen, wenn jemand Lebensmittel wegwirft. So eröffnete er das Gespräch mit der Theorie, es sei O.K. die Kantine um eine Extraportion zu betrügen, da sie das Essen nachher sowie so wegschmeißen. Dieser Einwurf erntete prompt Widerspruch, es sei für die Betreiber unmöglich so zu planen, dass die Portionen genau aufgehen. Daraufhin entgegnete mein Kollege er sehe nicht die Notwendigkeit etwas wegzuwerfen, da es immer noch jemanden gäbe dem man das Essen schenken könnte. An dieser Stelle verlor ich die Geduld und es entschlüpfte mir ein ‚wo lebst du eigentlich‘. Daraufhin bemühte ich mich das Gespräch schnell abzubrechen, allerdings konnte mein Kollege noch einem ‚wie unsachlich‘ ein ‚Hauptsache dir geht es gut‘ nachschieben.

Interessant an dieser Begegnung finde ich, dass sie etwas Einblick in die Motive der Menschen verschafft, die völlig zweifelbefreit ihrer Position durchzudrücken versuchen. Der Zweck den mein Kollege zu verfolgen scheint, ist das Los der verarmten besser zustellen. Weil seine diesem Ziel dienenden Forderungen offenbar unsinnig sind, kann man davon ausgehen, dass er sich nie darüber Gedanken gemacht hat, was ihm förderlich ist und was nicht. Wenn sein Interesse aber nicht dem Zweck seiner Forderungen gilt, muss es die Forderung, andere sollen ihre Handlungsweisen ändern, selbst sein, was er beabsichtigt. Mit anderen Worten es geht ihm um Macht. Dazu passt, dass er in sein Verhalten häufig Dominanzgesten einfügt.

Sich zum Anwalt fremder Interessen zu machen ist aus zwei Gründen für solche Menschen günstig. Zum ersten kommt es einem Bedürfnis nach Harmonie entgegen, wenn die Gegensätze der Bedürfnisse Einzelner durch ein vermeintlich gemeinsames Ziel verdeckt werden können und ist damit geeignet den Gesprächsparteien Entspannung zu verschaffen. Da es angenehmer ist auf so einer Grundlage zu argumentieren, erlernt man sehr früh gemeinsame Ziele und Altruismus als etwas Erstrebenswertes zu sehen. Zum zweiten gelingt es eine Bitte an die Gesprächspartner heranzutragen ohne der Gefahr ausgesetzt zu sein, das Erwartungen nach Gegenleistungen geweckt werden. Richtet jemand eine Bitte an uns neigen wir dazu dieser nachzukommen, da wir den Bittsteller nicht unnötiger Weise vor den Kopf stoßen wollen, allerdings erwarten wir auch, dass sich man sich bei Gelegenheit bei uns revanchiert. Dem Anwalt gelingt es diese Verhaltensweise dazu zu verwenden, ein Machtgefälle aufzubauen, in dem er Bitten an der Stelle von Menschen vorträgt, die gar nicht anwesend sind. Die Anderen werden sich in aller Regel, schon aus einem Reflex heraus, von ihm beeinflussen lassen, können aber keine an ihn gerichteten Erwartungen aufbauen, da dieser vordergründig nicht der Begünstigte war. Auf diese Weise kann der Anwalt das Spiel beliebig oft wiederholen, ohne gefahrzulaufen die Anderen zu verärgern. In dem Moment, da sich andere nach den Anweisungen des Anwalts richten, ist das Machtgefällt aufgebaut.

Meines Erachtens ist der wesentliche Grund dafür, dass Intellektuelle zu linken Positionen neigen, der, dass diese besonders gut geeignet sind, die Position des Anwalts einzunehmen. Vermutlich wurde der Gutteil linker Positionen zu diesem Zweck entwickelt.

Anmerkung: Dem Leser, der durch die Darlegungen meines Kollegen verwirrt wurde und sich auch nicht durch das Argument zufrieden stellen lässt, dass die Betreibergesellschaft neben ihren eigentlichen Zwecken unmöglich allen Forderungen nachkommen kann, die ihre Kunden an sie richtet, sei Folgendes nahe gelegt. Jedem Sozialhilfeempfänger ist es zuzumuten, sich seine Lebensmittel selbst zu kaufen. In Frankfurt geht man von etwa 300 Obdachlosen aus, der Betreiber verköstigt pro Tag mehrere zehntausend Menschen. Die Schwierigkeit ist es also nicht die Nahrung bereitzustellen, von der gibt es mehr als genug, sondern die Hilfsangebote in einer Weise darzubieten, in der sie auch angenommen werden (niedrigschwelleige Angebote).